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Adler und Engel (German Edition)

Adler und Engel (German Edition)

Titel: Adler und Engel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juli Zeh
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Hände nach seinem Kopf aus, er ist so verdammt hässlich.
    Wenn sich der Tod mit abgewandtem Antlitz nähert, zitiere ich, sprechen wir von Genesung.
    Das scheint er schlecht zu vertragen, seine Augen weiten sich ein Stück, was ihm einen wahnsinnigen Ausdruck verleiht, er ändert die Taktik und fasst sich mit beiden Händen ans Herz. Es ist offensichtlich, dass er schauspielert. Er sieht aus wie ein Leichnam, aber das kommt von der Hitze, und er ist ein zäher Brocken.
    Das beeindruckt mich nicht, zische ich.
    Er nimmt die Hände vom Herz, umklammert die Armlehnen und stößt mit dem Bein nach Jacques Chirac, der aufgestanden ist und sich beunruhigt vergewissern will, ob alles in Ordnung ist.
    Max, sagt er schnell, Sie haben wirklich ganz außerordentliche Dinge erlebt. Erzählen Sie Ihre Geschichte einem Profi, NICHT einer AMATEURIN!
    Huhu, ruft Clara, guck mal, was ich mitgebracht habe.
    Ich habe sie nicht kommen hören. Sie steht plötzlich mitten im Hof, eine Tüte von der Shell im Arm, wahrscheinlich Alkohol und Kippen, vielleicht gibt es was zu feiern. Ihr Gesicht ist lebhaft, rotfleckig und feucht wie im Fieber. Weiß der Henker, was sie schon wieder in der Stadt getrieben hat und woher sie die nötigen Energiereserven dafür nimmt. Als sie Schnitzler entdeckt, greift sie sich schnell an den Kopf, berührt die Haare ihrer schwarzen Perücke und lässt den Arm wieder sinken. Sie starrt ihn an, der klein und verschrumpelt aussieht im rostigen Stuhl, dann mich, der ich aufrecht stehe mit Zigarette im Mundwinkel und in die Hüften gestützten Armen.
    Wow, sagt sie, geile Show.
    Fräulein Müller, sagt Schnitzler, es ist mir immer wieder ein Vergnügen.
    Was machen Sie denn hier, fragt sie.
    Ich geh jetzt, sage ich.
    Ich schaffe es bis auf den Wilhelminenberg, zeitweilig auf Jacques Chiracs geduldigen Rücken gestützt. Es gibt eine Stelle im Wald, an der oberen Kante eines sanft abfallenden Hangs, wo ein Baumstumpf eine bestimmt zwei Quadratmeter große Liegefläche bietet. Es wächst Lavendel und hohes trockenes Gras, die Stille ist angefüllt mit Insektenschritten und den anderen feinen Geräuschen ihrer alltäglichen Verrichtungen. Dort vergehen die Stunden spurlos, man fühlt sich in der Zeit wie ein Körper, der in exakt körpertemperaturwarmes Wasser eingelegt ist.
    Als ich zurückkomme, ist sie noch da. Ich hatte nur halb damit gerechnet. Sie kocht auf der Elektroplatte Nudeln für den Hund und rührt hingebungsvoll im Topf. Ich trete hinter sie, und sie streckt mir ein kleines Papierröllchen hin, es sieht aus, als wäre es fürs Koksen präpariert.
    Ein Brief für dich von Schnitzler, sagt sie.
    Eine Telephonnummer steht darauf und dann noch eine Zeile: »Nach dem letzten Wort beginnt erst das eigentliche Gespräch. Rufen Sie mich an.«
    Hat er gesagt, frage ich, dass du deine Diplomarbeit aufgeben sollst?
    Ja, sagt sie.
    Und was hast du geantwortet?
    Dass er mich in Ruhe arbeiten lassen soll, weil ich mir sonst einen anderen Betreuer suche.
    Ich lege von hinten die Arme um sie und die Stirn auf ihre Schulter.
    Braves Mädchen, sage ich, gut gemacht. Wie heißt der Typ eigentlich wirklich?
    Milan Kucia, sagt sie. Alle nennen ihn Schnitzler, weil er ständig dessen Werk zitiert.
    Ein slawischer Name, sage ich.
    Soweit ich weiß, sagt sie, kommt er aus Belgrad, aber mit seinem Lieblingsthema war er dort nicht so gern gesehen.
    Organisiertes Verbrechen, sage ich.
    Habt ihr ein bisschen geplaudert, fragt sie.
    Auf seine Art, sage ich, ist er ein charismatischer Mann. Ich verstehe jetzt besser, warum du so bei seinen Füßen kauerst.
    Auch nicht mehr als du bei Rufus, sagt sie.
    Nein, sage ich, eher weniger. Hattest du auch nie einen richtigen Vater oder was?
    Sie antwortet nicht. Ich lasse sie los, obwohl es eigentlich nett war, sie zu halten.
    Für heute, sagt sie, bin ich Sieger nach Punkten. Das hat er gesagt. Fräulein Müller, machen Sie weiter, aber strengen Sie sich verdammt noch mal an.
    Fein, sage ich, streng dich ruhig an. Essen wir jetzt zusammen?
    Ich hab keinen Hunger, sagt sie, mir ist so schlecht.

22 Reis mit Kant
    M ann GEIL, höre ich sie sagen, genau das fehlte mir noch.
    Ein Traum zieht sich zurück, Zeiger sinken über Skalen langsam auf ihre Nullpositionen. Eine Vibration verebbt; das Heulen einer großen Maschine, in der ich mich gedreht habe als eine von vielen Wellen, verliert an Lautstärke und Tonhöhe; die Maschine läuft aus, bis nur noch ein gleichmäßiges Pfeifen übrig ist,

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