Adler und Engel (German Edition)
geht nicht, sage ich. Sie wird hier gebraucht.
Und wozu, fragt er.
Sie macht genug Wirbel in der Stadt, sage ich, um die Aufmerksamkeit der Leute auf uns zu lenken, die mich hier finden sollen.
Hören Sie schon auf mit dem Quatsch, sagt er.
Sie rührt den Schlamm auf, sage ich, und trampelt das Gras runter und geht allen so lange auf die Nerven, bis sie sicher sind, dass sie etwas unternehmen müssen.
Verkaufen Sie mich nicht für blöd, sagt er.
Schnitzler, sage ich, ich will nicht zurück nach Leipzig, und ich will nicht, dass Lisa geht.
Was Sie mit Fräulein Müller erleben, sagt er, bewegt sich irgendwo im Umfeld symbiotischer Therapiebeziehungen. Kommen Sie bloß nicht auf die Idee, es sei etwas Persönliches zwischen Ihnen beiden entstanden.
Denken Sie, was Sie wollen, sage ich, und seien Sie sicher dabei, dass Sie auf keinen Fall recht haben. Die Lage ist perfekt, wie sie ist. Wenn es Clara Spaß macht, auf der verbrannten Erde meiner Existenz herumzukriechen und in den Trümmern zu wühlen, dann lassen wir sie doch einfach. In Kürze ist alles vorbei und dann bekommen Sie Clara wieder.
Darum geht es nicht, sagt er.
Mit beiden Händen zieht er den Stoff seiner Hose an den Knien zu Spitzen zusammen, knetet und dreht die Zipfel, bis sie von alleine stehen bleiben. Er schaut sich im Hof um, er sieht aus, als würde er nur mit Mühe einen Wutanfall unterdrücken.
Ich bin zufällig in der Stadt …, beginnt er.
Da war ein Fehler im Tonfall, es ist klar, dass er lügt.
Ganz bestimmt nicht, sage ich.
Fräulein Müller, sagt er, wird auf diese Arbeit ihr Diplom nicht bekommen. Und seien Sie sicher, dass sie mir nach Leipzig folgt, wenn ich sie ernsthaft dazu auffordere.
Das befürchte ich auch, sage ich.
Es wird Zeit, sich abzuregen und herauszufinden, worum es hier eigentlich geht. An der Art, wie er mich ansieht, erkenne ich, dass die Verhandlungen eröffnet sind.
Okay, okay, sage ich, ich war etwas langsam. Sie drohen mir, und wahrscheinlich bieten Sie einen Tausch. Clara gegen irgendetwas anderes.
Er lässt seine Bundfalten los und rückt sich im Stuhl zurecht.
Mein derzeitiges Forschungsgebiet, sagt er, ist die Pathologie des organisierten Verbrechens. Seit den Balkankriegen ist das Interesse der Öffentlichkeit an Studien zu diesem Thema enorm angewachsen.
Ihr Gebiet, sage ich, geht mir am Arsch vorbei. Ich will hier krepieren und Clara soll dabei sein. Ich bin ganz offen zu Ihnen.
Er beugt sich auf seinem Sitz vor, plötzlich gelenkiger als bisher.
Ich werde jetzt auch sehr offen sein, sagt er. Die Anzahl von Menschen, die durch ihre Aussage zu meinen Studien beitragen können, ist äußerst gering. Das sind entweder international gesuchte Verbrecher oder deren Opfer, beides keine gesprächigen Vertreter der menschlichen Gattung. Sie und Jessie aber …
Sein Kopf fühlt sich zwischen meinen Händen an wie eine große Frucht, vielleicht eine Kokosnuss mit zu lang geratenen Haaren. Ich drücke fest zu und kippe Schnitzler samt Stuhl Richtung Baum, bis sein Hinterkopf gegen den Stamm der Kastanie schlägt und der Stuhl nur noch auf einem Bein balanciert. Es wäre ein Leichtes, ihn noch einmal richtig gegen den Baum zu stoßen und dann hintenüber zu werfen, ihn liegen zu lassen und zu vergessen. Irgendwann würde Moos über ihn wachsen und er ein Teil des Gartens werden.
Schnitzler, sage ich, Sie sind ein abgebrühter Kerl, aber jetzt sind Sie alt. Sagen Sie mir doch, in welchem Land Sie geboren sind.
Mein Herr, sagt er, ich habe schon lange vor nichts mehr Angst.
Gut, sage ich, formulieren wir die Frage anders: War es in Albanien?
Nein, sagt er.
Ich lasse ihn los, mit viel zu viel Schwung saust der Stuhl nach vorn, so dass Schnitzler fast auf den Rasen geschleudert wird.
Was soll der Zirkus, keucht er.
Ich versuche nur, sage ich, den unaufhörlichen Anspielungen in meinem Leben auszuweichen.
Er nimmt seinen Faden wieder auf, aber jetzt haspelt er und unterbricht sich nach jedem zweiten Wort.
Sie, sagt er, und Ihre kleine verstorbene Freundin, Sie befanden sich in einer AUSSERORDENTLICHEN Position … Von unbezahlbarem Wert für die Forschung …
ICH, brülle ich, ich habe AUSSERORDENTLICH WENIG zu verlieren. Nehmen Sie sich VERDAMMT NOCH MAL in acht!
Ich versichere Ihnen, flüstert er, dass Ihnen noch ein langes, glückliches Leben bevorsteht, wenn Sie das hier hinter sich gebracht haben. Es geht nur darum, ein paar richtige Entscheidungen zu treffen.
Ich strecke wieder die
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