Adler und Engel (German Edition)
hin, Max.
Schnitzler, sagt er, nicht Arthur, aber seelenverwandt.
Das ist doch nicht Ihr richtiger Name, sage ich auf gut Glück.
Ihr Informationsstand ist sogar noch besser, als ich dachte, sagt er. Und Sie, haben Sie keinen Nachnamen?
Doch, sage ich, aber ich wüsste nicht, was der Sie angeht.
Wie Sie wünschen, sagt er, ich nenne eigentlich nur Studenten beim Vornamen. Aber wenn Sie sich unterordnen wollen, gerne.
Ich verschwinde im Schuppen, um eine Ration Koks zu konsumieren, und lasse ihn für eine Weile mit seinen Betrachtungen allein. Er gefällt mir. Vielleicht ist es seine besondere Arroganz, vielleicht auch nur der Umstand, dass ich seit Ewigkeiten nicht mehr mit einem intelligenten Menschen gesprochen habe. Ich gehe davon aus, dass Herbert ihn schickt, und ich bin froh, dass er es ist und kein anderer.
Das Koks wirkt gut, ich rauche noch eine von seinen Zigaretten, bevor ich in den Hof zurückkehre, und betrachte mich dabei im abgekoksten Spiegel. Möglicherweise wäre es an der Zeit, mein ganzes Leben innerhalb weniger Sekunden vor meinem inneren Auge vorbeiziehen zu lassen, aber es gelingt nicht. Stattdessen stelle ich fest, dass mein Gesicht langsam den kubistischen, aus schattigen Flächen zusammengesetzten Zuschnitt annimmt, den ich mir immer gewünscht habe. Während der Schulzeit, als ich den Finger ins Fleisch pressen musste, um die Knochen darunter ertasten zu können, habe ich mir vor dem Einschlafen oft vorgestellt, man würde eine Kanüle legen unter die Haut meiner Backen und damit das Fett absaugen, das dann durch einen Plastikschlauch in einen Eimer troff. Ich stellte es mir zäh und trüb vor wie erhitztes Gänseschmalz, und der Eimer wurde immer voller, und langsam kamen meine Gesichtszüge zum Vorschein, tauchten auf wie das gesunkene Schiff am Grund eines abgepumpten Sees. Diese Phantasie brachte mein Herz zum Klopfen und meine fetten Wangen zum Lächeln, und so schlief ich ein an vielen Abenden, glücklich dank des zuvor reichlich genossenen Cannabis.
Auch jetzt lächele ich. Da bin ich. Ich betaste meine harten Jochbeine mit den Fingern, auch die Augenbrauen, die sich anfühlen, als würden die Härchen direkt auf dem Knochen wachsen. Mein Gesicht erinnert mich an jemanden. Ich glaube, an Shershah.
Mit der nächsten brennenden Kippe zwischen den Fingern verlasse ich den Schuppen und bin bereit zum Abtreten. Schnitzler hängt in seinem Stuhl, als wäre er heimlich und leise einem Schlaganfall erlegen. Jacques Chirac hat sich zu seinen Füßen ausgestreckt.
Schön haben Sie es hier, ruft Schnitzler, sobald er mich sieht.
Wollen Sie ein Glas Wasser, frage ich.
Wenn es keine Umstände macht, sagt er.
Mühsam richtet er sich in seinem Stuhl wieder auf, ich gehe zum Wasserhahn auf der anderen Seite des Hofs und fülle eine Blechtasse. Er trinkt sie mit einem Zug aus.
Aaah, sagt er, herrlich. Es geht doch nichts darüber, ein wirklich quälendes Bedürfnis zu löschen.
Ganz recht, sage ich, je mehr quälende Bedürfnisse man hat, umso besser.
Wenn Sie so denken, sagt er, sind Sie mit Sicherheit derjenige welcher.
Eine solche Plattitüde hätte ich nicht von ihm erwartet. Es amüsiert mich, dass ich mich über ihn ärgere. Irgendwie hat sich die krude Vorstellung in mir breit gemacht, mein Ende müsse stilvoll von einem stilvollen Menschen bewerkstelligt werden.
Da Sie unter Anstrengung einen weiten Weg auf sich genommen haben, sage ich, bin ich auf jeden Fall derjenige welcher, jedenfalls für Sie.
Sie wissen, wer ich bin, fragt er.
Dachte ich, sage ich. Aber wenn ich Sie so ansehe, bin ich mir nicht mehr sicher.
Seine Reisetasche hat er in Griffweite, macht aber keine Anstalten, in irgendeiner Form zur Tat zu schreiten. Wenn ich ehrlich bin, ist es eher unwahrscheinlich, dass Herbert ein solches Wrack für einen solchen Job ausgewählt haben soll. Da gibt es mit Sicherheit andere.
Ich stelle eine Fußspitze auf die Mauer und drücke die Zigarette auf dem Dach des Asconas aus.
Woher haben Sie die Adresse, frage ich.
Er lächelt.
Sie wollen alles wissen, sagt er.
Natürlich will ich, sage ich. Es liegt in der menschlichen Natur, immer alles wissen zu wollen, und es müsste eigentlich im Wesen menschlicher Vernunft liegen, sich diesem Verlangen zu widersetzen. Ich arbeite daran.
Er lacht.
Gott musste dem Menschen einen Geschmackssinn geben, sagt er, damit der Mensch sich ernährt, und einen Geschlechtstrieb, damit er sich fortpflanzt. Daran lässt sich erkennen, was
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