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Adler und Engel (German Edition)

Adler und Engel (German Edition)

Titel: Adler und Engel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juli Zeh
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wurde ich wütend, auf eine grundlose, irrationale Art wütend. Ich hasste seine Ruhe, seine Gewissheit, dass er alles von der Welt bekommen konnte, ohne auch nur einen Finger zu rühren. Ich wurde so wütend, dass ich die Haare um seinen Hals schlingen und ihn damit erwürgen wollte. Man konnte nicht mit ihm gemeinsam in einem Raum existieren, immer zog er alles auf sich, die Blicke anwesender Menschen, Schallwellen von Musik, die Titel herumstehender Bücher – alles handelte nur von ihm, aber ohne ihn zu erreichen, und auch mein Hass perlte von ihm ab wie Regentropfen von einem Wachsmantel.
    Anscheinend kann es ein langwieriger Prozess sein, einen Menschen zu töten, weil man in den absurdesten Winkeln auf seine Spuren stößt. Ich werde diese Aufgabe zu Ende führen und der Welt damit einen Gefallen tun.
    Plötzlich springt die Musik an im Inneren des Kopfhörers, ich hebe das Gesicht heraus und schlage die Augen auf. Clara wirft mir vorwurfsvolle Blicke zu, einen Finger hat sie auf den Lautstärkeregler des Ghettoblasters gelegt. Man hört, wie gut der Stereoeffekt ist, es kommt mir vor, als hielte ich eine ganze Konzerthalle in den Händen. Ich schnuppere noch einmal kurz am Schaumstoff, bevor ich Clara das Ding überlasse, good-bye stranger , denke ich, vor zwei Jahren hatte ich keine Zeit, mich von dir zu verabschieden. Claras parfümierte Haare werden den Geruch tilgen. Von hier aus wird es keine Wiederauferstehungen mehr geben.
    Sofort streift sie sich den Bügel über, sie trägt ihn nicht oben über dem Scheitel, sondern hinten im Nacken. Sie beginnt, den Kopf im Takt zu schwingen, so locker, als säße er nicht fest auf dem Hals, sondern hinge nur an einem Faden. Der Kopfhörer steht ihr, sie sieht damit etwas vollständiger aus, außerdem beinahe glücklich. Ich verstehe jetzt, dass sie solchen Kram braucht, mattsilbernes Metall, Knöpfe und Regler und genug schwarze Kabel, glatt oder in Spiralen, um sich darin einzuwickeln. Vielleicht stellt sie sich in diesem Moment vor, in ihrer Glaskabine zu sitzen, während die nächtliche Stadt sich um sie herum ausbreitet wie ein Netz, in dem die Radios die Knotenpunkte sind, und aus allen strömt die gleiche Musik, Claras Musik, von ihr ausgewählt und aufgelegt, dieselbe, zu der auch sie sich wiegt, soundsoviel bpm .
    Aber es ist heiß. Wenn sie so weitermacht mit ihrem Kopf, wird sie Migräne kriegen, schlimmer als eine Kreissäge, und sich übergeben müssen und ich wische das dann bestimmt nicht weg. Falls überhaupt etwas in ihr drin ist, das es wegzuwischen gäbe.
    Am Nachmittag finde ich sie draußen im Hof, sie liegt in der prallen Sonne. Ich packe sie unter den Armen und schleife sie in den Schatten an die Hauswand. Ihre Augen sind halb offen, sie reagiert trotzdem kaum. Unter den Wimpernmarkisen enthalten ihre Pupillen jeweils ein Miniaturabbild meines Gesichts, ein wenig verzerrt entlang der konvexen Wölbung, die Nase viel zu groß, der Bart wie ein großer Schmutzfleck darunter. Während ich mich in Claras Augen spiegele, habe ich anders als bei gewöhnlichen Spiegeln nicht das Gefühl, dass von hinten jemand durch die reflektierende Oberfläche und in mein Gesicht schaut.
    Max, sagt sie fast tonlos, mir ist nicht gut.
    Das sieht man deutlich, sage ich. Das ist die Hitze.
    Du kapierst nicht, sagt sie. Es fühlt sich an, als müsste ich sterben.
    Ich muss mein gesundes Ohr vor ihre Lippen halten, um sie zu verstehen. Dabei steigt mir ihr Atem in die Nase, er riecht wie das Blumenwasser in einer Vase, aus der man gerade die schleimigen Stengel eines drei Wochen alten Straußes gezogen hat. Irgendwie baut es mich auf, sie so liegen zu sehen, ich fühle mich kräftig wie schon lange nicht mehr.
    Deine Solidarität mit mir, sage ich, wirkt langsam etwas übertrieben.
    Sie versteht den Witz nicht, vielleicht war es auch keiner. Ich stehe auf, um meinen Koksvorrat zu holen. Mit den Fingerspitzen nehme ich eine Kinderportion heraus, öffne mit der anderen Hand ihren Mund und lasse es hineinrieseln, als würde ich eine Suppe würzen. Sie wehrt sich nicht, nur ihre Zunge zieht sich zusammen und krümmt sich wie eine Nacktschnecke, in die man ein Streichholz gepiekst hat. Ein Glas steht in Reichweite, ich fülle es in Jacques Chiracs Wasserschüssel und gieße ihr vorsichtig etwas in den Mund, drücke ihr Kinn nach oben und den Mund zu und bewege ihren Kiefer, bis ich sicher bin, dass sie geschluckt hat.
    Brav, sage ich, Medizin.
    Dann setze ich mich in den

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