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Adler und Engel (German Edition)

Adler und Engel (German Edition)

Titel: Adler und Engel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juli Zeh
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von der menschlichen Vernunft von Anfang an gehalten wurde.
    Vielleicht hätte man uns stattdessen lieber erklären sollen, sage ich, wozu das ganze Scheißleben gut sein soll. Dann würden wir vielleicht von uns aus etwas für seine Erhaltung tun.
    Offensichtlich amüsiert er sich königlich.
    Bewahre uns der Himmel vor dem Verstehen!, ruft er. Es nimmt unserem Zorn die Kraft, unserem Hass die Würde, unserer Rache die Lust und noch unserer Erinnerung die Seligkeit. Wenn Sie das Zitat erlauben.
    Okay, sage ich, es reicht. Lassen Sie uns jetzt aufhören mit dem Unsinn.
    Wir schweigen, das Gespräch hat sich totgelaufen. Er beugt sich vor und streichelt den Hund, und dabei lässt seine Haltung den verrosteten Gartenstuhl zum Lehnstuhl werden, den Ascona zum offenen Kamin und die verwahrloste Dogge zum Jagdhund. Jacques Chirac spreizt die Beine wie eine routinierte Hure.
    Wenn Sie fertig sind mit der Tierpflege, sage ich, kommen wir vielleicht zur Sache?
    Und die wäre Ihrer Meinung nach?, fragt Schnitzler.
    Ich habe die vage Hoffnung, sage ich, dass Sie gekommen sind, um etwas nachzuholen, was vor zwei Jahren meiner Freundin zuliebe versäumt worden ist.
    Was ist das?, fragt er.
    Meine Exekution, sage ich.
    Sie sind ein wirklich interessanter Fall, sagt er.
    Es geht so, sage ich.
    Es hat etwas Bestechendes, sagt er, wie Sie Ihrem vermeintlichen Killer die Tasche nach Hause tragen und ihm ein Glas Wasser anbieten.
    Gegenüber einem Schrotthaufen wie Ihnen, sage ich, gebietet das der Anstand.
    Eben, eben, sagt er nachdenklich, der Anstand. Aber ich muss Sie enttäuschen. Ich bin nicht ausgestattet für einen Totschlag.
    Bei bezahlten Tötungsaufträgen, sage ich, liegt im Allgemeinen Mord vor.
    Sie sind Jurist.
    Das war keine Frage, auch keine Feststellung, es war eine Huldigung. Er fängt an, mir auf die Nerven zu gehen.
    Und was ist dann in der Tasche?, frage ich.
    Nach ein paar Momenten hat er begriffen.
    Ach so, lacht er. Da haben Sie sich getäuscht. Das müssten Sie eigentlich kennen.
    Er öffnet den Reißverschluss, und diesmal erkenne ich den metallischen Gegenstand nach einem flüchtigen Blick. Es ist ein DAT-Recorder, und er sieht Claras Gerät ziemlich ähnlich. Ich komme mir vor wie ein Idiot.
    Okay, sage ich, Sie wollen Clara sehen.
    Wen, fragt er.
    Lisa, sage ich.
    Clara, wiederholt er, ein Rollenspiel. Hat sie auch einen neuen Namen für Sie?
    Kommen Sie zur Ruhe, sage ich, und erzählen Sie mir, was Sie hierher führt.
    Ihre Clara hat mich angerufen, sagt er, kaum dass sie hier angekommen war, um mir die Adresse mitzuteilen. Sie war sehr stolz, dieses Unternehmen auf sich genommen zu haben, und legte auf, bevor ich mich dazu äußern konnte. Ich freue mich sehr, Sie endlich persönlich kennenzulernen.
    Sie freuen sich, sage ich, dass ich einen umgebracht habe.
    Ich bin Psychologe, sagt er, und spezialisiert auf die Pathologie von Verbrechen. Ein Pilzsammler freut sich auch, wenn er einen Pilz trifft.
    Ich nicke langsam und träge vor mich hin, während ich eine weitere Zigarette aus der Schachtel fummele.
    Und ein frisch klassifizierter Schwerverbrecher, sage ich, freut sich immer über ein neues Opfer.
    Wir haben Blickkontakt, und ich erwarte wirklich nicht, dass er sich beeindrucken lässt. Es ist offensichtlich, dass er schon weitaus Schlimmeres gesehen hat als mich. Trotzdem bilde ich mir ein, eine Reaktion in seinen Pupillen zu erkennen, ein schnelles Sich-Weiten und Wieder-Zusammenziehen, wie ein Aufpumpen. Die erhöhte Aufmerksamkeit schmeichelt mir. Auch wenn sein Mund darunter sich spöttisch verzieht.
    Max, sagt er, es tut mir sehr leid. Ich habe die ersten fünfzig Seiten von Lisas Arbeit gelesen, und es ist eine nette Geschichte, aber es hat mit meinem Fach nicht das Geringste zu tun.
    Dann fällt Lisa eben durch, sage ich.
    Genau, sagt er, aber so läuft es nicht bei uns. Der Professor muss dafür sorgen, dass der Diplomand eine brauchbare Arbeit schreibt.
    Mag sein, sage ich, aber sie WILL diese Arbeit schreiben. Sie will zu Ende bringen, was auch immer sie da angefangen hat.
    Ja, sagt er, das ist ganz natürlich. Außerdem ist sie ein bisschen stur veranlagt. Aber deshalb bin ich ja hier.
    Nein, sage ich, deshalb sind Sie bestimmt nicht hier. Kein Professor fährt achthundert Kilometer wegen einer Diplomarbeit, womöglich auch noch über Prag.
    Das sollte ein Witz sein über die schlechten Straßen in Osteuropa, aber er lacht nicht.
    Ich nehme Lisa mit zurück nach Leipzig, sagt er.
    Das

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