Admiral Bolithos Erbe
vorangekommen!«
Bolitho schritt zu den Finknetzen und mußte sich kräftig festhalten, als das Schiff wieder einmal nach vorne und abwärts schoß, wobei der Klüverbaum die Gischt wie eine Lanze durchstach. Kein Wunder, daß Adam so ungeduldig auf das Kommando über ein eigenes Schiff wartete; ihm selbst war es nicht anders ergangen. Bolitho sah zu den vollstehenden Segeln auf, zu den Toppsgasten, die mit gespreizten Beinen in den Fußpferden der schwankenden Großrah standen. Ja, das hatte er am meisten vermißt: die Gelegenheit, ein Schiff wie die
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zu zähmen und seinem Willen zu unterwerfen, sich geschickt mit Ruder und Segeln gegen seinen unbändigen Freiheitsdrang zu behaupten.
Neale hatte ihn beobachtet. »Hoffentlich werden Sie hier nicht allzusehr gestört, Sir?« fragte er.
Bolitho schüttelte den Kopf. Für ihn war es wie ein Aufputschmittel, die beste Arznei gegen alle Sorgen; nur das Hier und Jetzt zählte noch.
»An Deck!« Der Ruf des Ausguckpostens wurde vom Wind verzerrt. »Land in Luv voraus!«
Neale grinste triumphierend und riß ein Fernrohr aus seiner Halterung neben dem Ruder. Er stellte es richtig ein und reichte es Bolitho.
»Dort drüben, Sir: Frankreich.«
Bolitho wartete, bis das Deck auf einem Wellenkamm kurz ruhig lag, dann richtete er das Glas auf die Peilung aus. Zwar dämmerte es schon, aber trotzdem konnte er noch den verwischten violetten Schatten erkennen: die Insel Ouessant und irgendwo dahinter Brest. Das waren Namen, die sich tief ins Gedächtnis jedes Seemanns eingebrannt hatten, der hier monatelang im harten Blockadedienst geschwitzt hatte.
Nun konnten sie bald ihren Kurs ändern und Südost laufen, tiefer in den Golf von Biskaya. Doch das war Neales Problem – und nichts im Vergleich zu der Aufgabe, mit der er selbst seine Schiffe konfrontieren mußte. Später.
Innerhalb einer Woche würden Beauchamps Befehle von den betroffenen Stäben bestätigt werden. Die Kommandanten würden ihre Leute aufscheuchen, die Kurse zum Rendezvous mit dem neuen Konteradmiral berechnen. Ihr Ziel war ein Kreuz auf der Seekarte, irgendwo bei Belle Ile. Und innerhalb eines Monats würde man von Bolitho die ersten Aktionen erwarten, die ersten Schläge gegen den in seinem eigenen Lager überraschten Gegner.
Daß Bolitho die vorgeschlagene Taktik so ruhig besprechen konnte, als sei ihr Erfolg eine unumstößliche Tatsache, hatte Browne sichtlich beeindruckt. Aber Browne hatte seine Adjutantenstelle den Beziehungen seines Vaters in London zu verdanken, er war nie durch die harte Schule der Kriegsmarine gegangen. Bolitho dagegen war wie die meisten Marineoffiziere noch als halbes Kind auf sein erstes Schiff gekommen. Binnen kürzester Zeit hatte man ihm beigebracht, eine Barkasse zu befehligen und Autorität auszuüben, einen schwe ren Warpanker im Boot auszubringen, Passagiere oder Waren von und an Bord zu transportieren und später seine Bootsmannschaft im Nahkampf gegen Piraten oder Kaperer zu führen: all dies gehörte zur harten und gründlichen Schulung eines jungen Offiziersanwärters.
Leutnant, Kapitän oder jetzt Konteradmiral – Bolitho war derselbe geblieben, fand sich aber damit ab, daß mit der Beförderung in den Stabsrang alles für ihn anders geworden war. Jetzt kam es nicht mehr darauf an, sich mit Mut und Wahnwitz zu behaupten und eher Leib und Leben zu riskieren, als vor den Untergebenen Schwäche oder Furcht zu verraten. Auch war es nicht mehr eine Frage des blinden Gehorsams unter allen Umständen, gleichgültig, welch entsetzliche Szenen sich rundum abspielten. Jetzt hatte er über das Schicksal anderer zu bestimmen, und ob sie überlebten oder starben, hing von seinen Fähigkeiten ab, von seiner Auslegung der wenigen Informationen, die er zur Verfügung hatte. Genaugenommen entschied er mit seinem Urteil nicht nur das Geschick der ihm Untergebenen, sondern darüber hinaus – und das hatte Beauchamp ihm klargemacht – auch das Schicksal unzähliger anderer Menschen, vielleicht sogar das des ganzen Landes.
In der Tat, die Marine war eine grausame Lehrmeisterin, dachte Bolitho. Aber das Ergebnis konnte sich sehen lassen. Es gab weniger Sadisten und Tyrannen von eigenen Gnaden, denn vor den Breitseiten des Feindes konnte keiner nur mit Großmäuligkeit bestehen. Täglich wuchsen in der Navy neue gewandte Führerpersönlichkeiten nach – Männer wi e Neale, dachte Bolitho mit einem Seitenblick auf seinen Flaggkapitän –, die es verstanden, in ihren Leuten
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