Admiral Bolithos Erbe
Hälfte!«
»Und was kommt jetzt?« fragte Browne; irgendwie hatte er es geschafft, trotz allem seinen Hut zu retten. »Ich gestehe, daß mir diese Situation neu ist.«
Bolitho legte den Kopf zurück und empfand dankbar den wärmenden Sonnenschein auf Stirn und Augen. Die Schmerzen konnte er allerdings nicht lindern. Nun waren sie also Gefangene, irgendwo an der Küste Frankreichs. Und schuld daran war sein eigenes törichtes Ungestüm.
Brüsk befahl er Browne: »Gehen Sie zu den anderen. Sie sollen antreten wie zum Appell.« Er sah ihren Schiffsarzt neben der ausgestreckten Gestalt eines verletzten Seemanns knien und war dankbar, daß wenigstens er überlebt hatte. Sie würden ihn weiß Gott noch brauchen, denn manche seiner Leute schienen in schlimmem Zustand zu sein. Die drei Midshipmen hatten alle überlebt, ebenso der noch so junge Dritte Offizier; allerdings hatte er einen zerquetschten Arm und schien kaum bei Bewußtsein. Außerdem entdeckte Bolitho noch Bundy, den Master, auch den Bootsmann und zwei oder drei Seesoldaten. Aber die Achterdeckswache war fast ausnahmslos über Bord gerissen worden, als der Besanmast heruntergekracht war. Neale hatte schon recht, es war weniger als die Hälfte. Bolitho beschattete seine Augen und blickte wieder auf die See hinaus. Der Nebel war dichter geworden, und von den französischen Kriegsschiffen konnte er keine Spur mehr entdecken. Aber die Flotte der Landungsboote hatte sich wieder formiert und würde ihre Fahrt nun bald fortsetzen. Diesmal wußten sie, daß sie vom Feind beobachtet wurden, und konnten sich gegen einen Überraschungsangriff besser wappnen.
»Da kommen sie«, flüsterte Allday ihm zu.
Der Kordon oben am Strand teilte sich und ließ drei französische Offiziere mit ihrer Eskorte durch; zielstrebig marschierten sie auf die verstreuten Seeleute zu.
Bolitho kannte die Uniform des voranschreitenden Offiziers: Er war ein Hauptmann der Artillerie, wahrscheinlich von einer Küstenbatterie in der Nähe.
Der Hauptmann erreichte die Gruppe der Midshipmen und musterte sie kalt.
Bolitho sagte: »Händigen Sie ihm Ihre Waffen aus und auch den Säbel des Dritten Offiziers.«
Wütend rammte Allday sein langes Entermesser in den Sand.
»Wäre das doch sein Bauch!« knirschte er dabei.
Auch Browne löste den Säbel von seiner Seite und bückte sich dann, um Neales Waffe von dessen Gürtel zu schnallen. Doch Neale schien zum erstenmal, seit man ihn ins Rettungsboot getragen hatte, seinen alten Kampfgeist und Mut wiederzufinden. Taumelnd kam er auf die Füße, tastete nach der Scheide und zog den Säbel, während die französischen Soldaten, von Neales überraschender Gegenwehr überrumpelt, verspätet ihre Pistolen und Musketen hoben.
Mit gebrochener, fast unkenntlicher Stimme rief Neale: »Zu mir, Leute! Schließt die Reihen! Schlagt die Enterer zurück!«
Bolitho sah, daß der französische Hauptmann auf Neale anlegte, und trat schnell zwischen ihn und den Phantasierenden.
»Bitte, Capitaine. Der Mann spricht im Fieberwahn!«
Der Franzose blickte schnell zwischen Neale und Bolitho hin und her, musterte die fürchterliche Kopfwunde des jungen Kommandanten und dann Bolithos Epauletten.
Das Schweigen war wie eine unsichtbare Mauer. Neale stand schwankend da und spähte halb blind zu seinen Männern hinüber, die ihrerseits zurückstarrten, mitleidig und peinlich berührt.
Es war ein kritischer Augenblick. Die französischen Soldaten waren monotonen Garnisonsdienst gewohnt und mochten sich von den britischen Seeleuten, deren Schiff so schnell gesunken war und sie praktisch auf den Strand gespien hatte, bedroht fühlen. Nun mußte nur einer der Gefangenen eine falsche Bewegung machen, dann würden die Musketen losgehen und der Sand sich rot färben vom Blut der Gefangenen.
Bolitho kehrte der Pistole des Franzosen weiterhin den Rücken, aber der Schweiß rann ihm prickelnd zwischen den Schulterblättern herab, während er auf den Schuß, auf den vernichtenden Einschlag im Rückgrat wartete.
Ganz vorsichtig nahm er Neale den Säbel aus der Hand. »Immer mit der Ruhe«, sagte er. »Wir sind bei Ihnen, ich und Allday.«
Neale öffnete die Faust und ließ den Arm sinken. »Tut mir leid.« Endlich kapitulierte er vor dem Schmerz. Bolitho sah den Schiffsarzt hastig herbeieilen, während Neale mit heiserer Stimme noch hinzufügte: »Hab’ das verdammte Schiff geliebt.« Dann brach er zusammen.
Bolitho wandte sich um und reichte Neales Waffe an den
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