Admiral Bolithos Erbe
»Der Arzt war wieder da, Sir. Kapitän Neale geht es ziemlich schlecht.«
Bolitho drängte sich an ihm vorbei und eilte zu dem größeren der beiden Turmzimmer. Dort lag Neale auf dem Rücken, starrte mit weit geöffneten Augen an die Decke und atmete so heftig, daß sich seine Brust wie im Krampf hob und senkte. Ein Wächter trug einen Eimer mit blutigen Verbänden davon; am vergitterten Fenster stand der kleine Festungskommandant und machte ein ernstes Gesicht.
»Ah, da sind Sie ja, Konteradmiral. Ich fürchte, Kapitän Neales Zustand hat sich verschlechtert.«
Vorsichtig ließ sich Bolitho auf die primitive Pritsche nieder und nahm Neales Hand. Trotz der Sommerhitze war sie eiskalt.
»Was ist denn, John?« fragte er besorgt. »Komm, mein Junge, sag es mir.« Leicht drückte er Neales Hand, fühlte aber keine Reaktion. Nicht du auch, dachte er flehentlich, Herrgott, nicht du auch noch.
Die Stimme des Kommandanten schien aus weiter Ferne zu kommen. »Ich habe Befehl, Sie alle nach Lorient zu verlegen. Dort wird auch Kapitän Neale besser aufgehoben sein.«
Bolitho sah ihn an und versuchte, das Gehörte zu verarbeiten. Dann begriff er, daß alles umsonst gewesen war. Neale würde sterben, und sie selbst schaffte man nach Lorient, wo sie niemals ausbrechen und diesen Signalturm zerstören konnten.
Er protestierte: »Aber, Monsieur, der Transport würde Kapitän Neales sicheren Tod bedeuten!«
Der Kommandant wandte sich ab und starrte auf die See hinaus.
»Ich habe Befehl, Sie nach Lorient in Marsch zu setzen. Auch der Arzt ist sich des Risikos für Kapitän Neale bewußt, aber er hat mir versichert, daß der Patient sich nur so lange ans Leben klammern wird, wie er mit Ihnen zusammen ist.« Sein Ton wurde etwas milder. »Wenigstens reisen Sie nicht in der Kutsche, sondern per Schiff. Diese kleine Vergünstigung konnte ich mit meinen beschränkten Mitteln immerhin für Sie durchsetzen, Admiral.«
Bolitho nickte langsam. »Danke. Das werden wir Ihnen nicht vergessen.«
Der Kommandant straffte die schmalen Schultern, der Augenblick des gegenseitigen Einverständnisses hatte ihn verlegen gemacht.
»Heute abend werden Sie an Bord gebracht. Danach…« Er zuckte die Achseln. »Jedenfalls liegt dann nichts mehr in meiner Hand.«
Er ging, und Bolitho beugte sich über Neale. »Haben Sie das gehört, John? Wir bringen Sie woandershin, wo Sie ordentlich gepflegt werden können. Außerdem bleiben wir alle zusammen. Na?« Neale richtete so langsam den Blick auf ihn, als ginge schon diese Anstrengung über seine Kräfte.
»Keinen… Sinn. Diesmal haben… sie mich… erledigt.«
Bolitho merkte, daß Neale nach seiner Hand tastete. Sein mühsamer Versuch eines Lächelns war herzzerreißend.
Neale flüsterte: »Mr. Bundy wird nachher wegen seiner Seekarten vorsprechen.« Er phantasierte wieder, die Schmerzen trübten seinen Blick. »Später…«
Bolitho ließ Neales Hand los und erhob sich. »Lassen wir ihn in Ruhe.« Und an Browne gewandt: »Sorgen Sie dafür, daß wir hier nichts vergessen.« Aber er wußte, daß er nur sprach, um Zeit zu gewinnen. Sie besaßen nichts, deshalb konnten sie auch nichts verlieren, wie Allday schon richtig angemerkt hatte.
Dieser sagte jetzt leise: »Ich kümmere mich um Kapitän Neale, Sir.«
»Ja, danke.«
Bolitho trat zum Fenster und drückte die Stirn an die sonnenwarmen Eisenstangen. Irgendwo links mußte der Kirchturm stehen, obwohl er ihn von hier aus nicht sehen konnte. Die englischen Schiffe würden mehrere Tage brauchen, ehe sie die günstigsten Angriffspositionen erreichten; aber der optische Telegraph benötigte nur Minuten, um die Verteidiger zu alarmieren.
Niemand in England wußte von den Invasionsbereitungen. Vielleicht würden sie es dort auch nicht mehr rechtzeitig erfahren. Dann starb Neale hier ebenso umsonst wie viele seiner Männer vor ihm.
Er preßte das Gesicht so fest an die Stäbe, daß der Schmerz ihn zur Besinnung brachte. Noch war Neale nicht tot. Und noch hatte der Feind nicht gewonnen.
Browne ließ seinen Admiral nicht aus den Augen. Er hätte ihm gern geholfen, wußte aber, daß dies außerhalb seiner Macht lag.
Allday ließ sich neben Neales Pritsche nieder. Der Verwundete hatte jetzt die Augen geschlossen und schien auch etwas ruhiger zu atmen.
Allday dachte an das französische Schiff, das sie nach Lorient bringen sollte. Mochte der Teufel wissen, wo Lorient lag. Ebensowenig scherten ihn die Musjöhs, wie er sie nannte. Aber ein Schiff war
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