Admiral Bolithos Erbe
irgendwie in Verbindung zu bleiben.« Bolitho hörte eine Kutsche in entgegengesetzter Richtung an ihnen vorbeirasseln; also befanden sie sich jetzt auf einer breiteren Straße. »Ich habe vor zu fliehen, zusammen mit Ihnen allen.« Er spürte, wie sie ihn anstarrten, wie plötzlich Hoffnung in ihnen aufflackerte. »Wenn einer von uns fällt oder ergriffen wird, dann müssen die anderen unbedingt we itermachen. Irgendwie müssen wir die Informationen über die französischen Invasionsvorbereitungen und über ihr neues Telegraphensystem nach England bringen.«
»Aber nur gemeinsam«, grunzte Allday. »Und wenn ich Sie, mit Verlaub, auf dem Rücken tragen muß, Sir. Dann wartet England eben ein bißchen länger.«
Browne gluckste vor unterdrücktem Lachen, was ihnen allen wohltat in dieser Situation, in der sie nicht wußten, ob sie den nächsten Tag noch erleben würden. Aber er ermahnte Allday: »Nehmen Sie sich nicht zuviel heraus. Sie sind der Steward des Admirals, nicht sein Bootsführer, denken Sie daran.« Allday grinste. »Mal sehen, ob ich das schaffe.« Bolitho hob die Hand. »Still!«
Er versuchte, eine Fensterblende zu lockern, bekam sie aber nur einen schmalen Spalt auf. Die anderen ließen ihn nicht aus den Augen, als er das Gesicht dagegenpreßte.
Leise sagte er: »Das Meer – ich kann es riechen.«
Dann blickte er sie an, als hätte er ihnen gerade etwas Wunderbares mitgeteilt. Das Meer – für Seeleute war es tatsächlich so etwas wie eine Offenbarung. Auch wenn man sie jetzt wieder in eine stinkende Zelle sperrte, sie wußten, die See war nicht weit. In jedem Seemann saß tief die Überzeugung verwurzelt: Wenn er es erst bis zur See geschafft hatte, dann würde er irgendwann, irgendwie auch in die Heimat gelangen.
Die Kutsche hielt, ein Soldat öffnete die Fenster, um frische Luft hineinzulassen.
Bolitho rührte sich nicht, doch seine Augen waren überall.
Keine Spur von Wasser, aber hinter einer Reihe niedriger, rundgeschliffener Hügel konnte man das Meer erahnen. Auf der anderen Seite der Straße erstreckte sich weit und breit dürres Brachland. Eingehüllt in dicke Staubwolken, exerzierte darauf Kavallerie und erinnerte Bolitho an das monumentale Schlachtengemälde im Salon des Admirals.
»Wie unsere Eskorte«, murmelte Browne. »Französische Kürassiere.«
Bolitho hörte ein Trompetensignal und sah die Sonne auf schwarzen Helmbüschen und Brustpanzern glänzen. Dann schwenkte das Karree ab und verschwand galoppierend hinter einer Staubwolke. Offenes Gelände also, gut geeignet für die Kavallerie, die hier möglicherweise auf die Invasion vorbereitet wurde. Außerdem war sie für jeden Flüchtling eine ernsthafte Bedr ohung. Als Kind hatte Bolitho oft zugesehen, wie die Dragoner von Truro exerzierten oder paradierten, auch wie sie in der Nähe von Falmouth fliehende Schmuggler verfolgten; mit gezogenen Säbeln waren sie hinter ihnen ins Moor galoppiert.
Nur zu bald wurden die Fenster wieder geschlossen, und die Kutsche ruckte an. Bolitho begriff, daß das Fenster zur Warnung geöffnet worden war, nicht aus Erbarmen. Worte hätten es nicht klarer ausdrücken können, welche Bedrohung von diesen martialischen Kürassieren ausging.
Der Abend dämmerte schon, als sie endlich mit steifen Gliedern aus der Kutsche klettern durften. Der junge Offizier, der die Eskorte geführt hatte, händigte einem Beamten in blauem Rock einige Papiere aus, dann nickte er den Gefangenen kurz zu und machte auf dem Absatz kehrt, offenbar heilfroh, daß er die Verantwortung los war.
Bolitho blickte an dem Beamten vorbei, der immer noch mühsam seine Papiere entzifferte, auf das gedrungene Gebäude, das offenbar ihr neues Gefängnis werden sollte: hohe steinerne Mauern, keine Fenster, und in der Mitte wohl ein Turm, der hinter dem Tor im Schatten gerade noch zu erkennen war. Eine alte Festung oder eine Küstenwachstation, die im Lauf der Jahre erwe itert worden war.
Der Mann in Blau hob jetzt den Blick und deutete aufs Tor. Einige Soldaten, die bisher die Ankömmlinge nur beobachtet hatten, formierten sich zu zwei Reihen, nahmen die Gefangenen in die Mitte und marschierten mit ihnen hinein.
In einem kahlen Raum mußten sie warten, an die Wand gelehnt, bis schließlich ein ältlicher Milizhauptmann erschien. »Ich bin Capitaine Michel Cloux, der Festungskommandant«, teilte er ihnen mit.
Er hatte ein schmales Fuchsgesicht, aber seine Augen blickten nicht gehässig; eher schon schien ihm seine neue Aufgabe
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