Admiral Bolithos Erbe
beschleunigte.
»Herrgott, ist das ein Anblick!« rief Browne begeistert aus.
Zu ihren Füßen erstreckte sich auf beiden Seiten die tiefblaue See, flimmernd im gleißenden Vormittagslicht und stellenweise dunstverhüllt wegen der Hitze. Bolitho erkannte Strömungen und Wirbel rund um einige kleine vorgelagerte Inseln und weit im Norden den dunklen Schatten von Land: wohl das jenseitige Ufer der Trichtermündung. Schnell sah er sich nach den Wachtposten um, aber die achteten nicht auf sie. Zwei waren vom Pferd gestiegen, nur der dritte saß noch im Sattel, eine Hakenbüchse schußbereit quer vor sich.
Bolitho sagte: »Wenn ich recht habe, sollte hier irgendwo ein Kirchturm sein.«
Browne hob schon den Arm, aber Bolitho zischte: »Nicht deuten! Beschreiben Sie ihn mir.«
»Er steht links von uns, Sir. Auf der fensterlosen Seite der Festung.«
Bolitho beschattete seine Augen und blickte wie beiläufig in die Runde. Halb von den Hügeln verdeckt, erkannte er eine Kirche mit viereckigem Turm, die sich in eine Bodenfalte duckte, als sei dies ihr angestammter Platz seit Urzeiten.
»Gehen wir zurück.« Nur widerwillig kehrte Bolitho der See den Rücken. »Jemand könnte uns beobachtet haben.« Ziemlich verwirrt fiel Browne neben ihm in Schritt.
Bolitho wartete, bis er hinter sich das Scheppern und Trotten der Kürassiere hörte, dann begann er gedämpft: »Ich weiß jetzt mit Bestimmtheit, wo wir sind, Oliver. Und wenn ich mich nicht irre, hat kein Pfarrer diesen Kirchturm bezogen, sondern die französische Marine.« Er warf seinem Adjutanten einen kurzen, fast verzweifelt drängenden Blick zu. »Ich wette, es ist der letzte Semaphorenturm auf dieser Seite des Mündungsgebiets. Wenn wir nur ausbrechen könnten, wenigstens so lange, wie wir brauchen, um ihn zu zerstören!«
Browne konnte ihn nur anstarren. »Aber sie werden einen neuen bauen, und wir…«
»Ich weiß. Wir werden exekutiert. Trotzdem müssen wir einen Weg finden. Denn wenn unsere Schiffe hier angreifen, was sie bestimmt tun werden, segeln sie ins sichere Verderben. Ich fürchte, uns bleibt nicht mehr viel Zeit. In England muß man inzwischen vom Untergang der
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erfahren haben und alle Anstrengungen machen, wenigstens die überlebenden Offiziere gegen gefangene Franzosen auszutauschen.«
Nachdenklich kaute Browne auf seiner Unterlippe. »Kapitän Neale wird als vermißt gemeldet werden, bis Überlebende der Besatzung herumerzählen, was aus ihm und uns geworden ist.«
Bolitho nickte ernst. »Aye. Und es wird bestimmt genug neutrale Zuträger geben, welche diese Neuigkeiten an die richtigen Leute verkaufen. Ich glaube, die Franzosen werden die Verhandlungen über Austausch oder Freilassung bewußt so lange verzögern, bis sie ihre neu formierte Landungsflotte in der richtigen Position haben. Admiral Beauchamp hatte völlig recht mit seinem Verdacht.«
»Und er hat auch den richtigen Mann mit Gegenmaßnahmen betraut«, sagte Browne.
»Wenn ich das nur glauben könnte, Oliver«, seufzte Bolitho. »Je länger ich hier nutzlos gefangensitze, desto gründlicher denke ich über unseren Angriffsplan nach. Ich hätte die schwache Stelle erkennen sollen, hätte sie mit einkalkulieren müssen, ganz gleich, wie spärlich die Informationen waren, die wir von der Admiralität bekamen.« Er blieb stehen und sah Browne in die Augen. »Als ich merkte, daß
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davonsegelte, statt zu kämpfen, habe ich ihren Kommandanten verflucht. Heute bin ich mir da nicht mehr so sicher. Kann sein, er hat sich klüger verhalten, als wir ihm zunächst zubilligten, und auch mehr Mut bewiesen. Ich war schon immer der Meinung, daß ein Kommandant mit Eigeninitiative handeln muß, wenn seine Befehle in einer überraschenden Situation sinnlos we rden.«
»Bei allem Respekt, Sir, da bin ich gegenteiliger Meinung.« Browne wartete auf eine Zurechtweisung; als keine kam, fuhr er fort: »Kapitän Emes hätte den aussichtslosen Kampf gegen die Übermacht aufnehmen müssen, statt
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hilflos sich selbst zu überlassen. Jedenfalls hätten Sie sich so verhalten, Sir.«
Bolitho lächelte.
»Als Kommandant vielleicht. Aber in dem Augenblick, als meine Flagge fiel, ging der Oberbefehl an Emes über. Im Grund blieb ihm gar keine andere Wahl.«
Aber Bolitho spürte, daß er Browne nicht überzeugt hatte. Sein Schweigen war vielsagender als jeder laute Protest.
Allday erwartete sie im oberen Stockwerk des Festungsturms, als sie schwitzend die letzten Stufen erklommen, und sagte:
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