Admiral Bolithos Erbe
er lieber auf Freunde.
Er sah, daß sich der Wachoffizier unterhalb der Poop übergab und dabei vom abfließenden Spritzwasser wie ein Ertrinkender gebeutelt wurde. Gellend rief er: »Mr. Nash – Sir! Kümmern Sie sich freundlicherweise um Ihre Pflichten! Zum Henker mit Ihnen, Sir! Sie sind so fehl am Platz wie eine Hure im Beichtstuhl!«
Der unglückselige Leutnant verschwand unter der Poop, um den Rudergängern am Doppelrad beizustehen; wahrscheinlich fürchtete er Wolfes Zorn mehr als die Seetollheit.
In der großen Kapitänskajüte drangen das Jaulen des Sturms und das Donnern der See nur gedämpft durch die dicken Planken. Herrick ließ sich auf einen Stuhl fallen, und sofort sammelte sich auf der schwarz-weiß gewürfelten Bespannung unter ihm eine Wasserpfütze.
Er hörte seinen Steward in der Pantry hantieren und wurde sich seines leeren Magens bewußt. Seit Mittag des vorangegangenen Tages hatte er nichts zu sich genommen. Jetzt war er hungrig und durstig.
Aber nicht sein eigener Steward, sondern der schmächtige Ozzard brachte ihm den Imbiß. Vorsichtig stellte er das Tablett neben Herricks Ellbogen und duckte sich wie ein ängstliches Tierchen, als das Deck wieder in ein Wellental sackte.
Herrick musterte ihn düster. Wie hätte er Ozzard trösten können, wenn er selbst Bolithos Verlust immer noch so schmerzhaft spürte wie eine offene Wunde? Er nahm einen Schluck Brandy und wartete darauf, daß er ihm Taubheit und Salzgeschmack aus der Kehle brannte.
Der Seesoldat vor der Tür störte ihn auf. »Midshipman der Wache, Sir!«
Müde wandte sich Herrick dem eintretenden Kadetten zu. »Was gibt’s, Mr. Stirling?«
Der Junge war knapp vierzehn, hatte sich aber nach den ersten schwierigen Wochen auf der
Benbow
,
seinem ersten Schiff, prächtig eingelebt. Seine Jugend und Gesundheit isolierten ihn wie Schutzschichten vor dem Drama, das sich rund um ihn abspielte.
»Empfehlung des Ersten Offiziers, Sir, und der Horizont wird schon heller.«
Hastig schweifte sein Blick durch die geräumige Kajüte, die im Vergleich zur Fähnrichsmesse unten im Orlopdeck ein Palast war. Wenn er sich alles gut merkte, konnte er es im nächsten Brief seinen Eltern erzählen oder – gleich nachher – seinen Kameraden während der Freiwache.
Herrick wäre das Kinn vor Erschöpfung um ein Haar auf die Brust gesunken. »Und der Wind?« blaffte er.
Der Junge schluckte krampfhaft. »Stetig aus Ost, Sir. Der Master glaubt, daß er jetzt bald nachlassen wird.«
»So, glaubt er das?« Herrick streckte sich gähnend. »Meistens behält er ja recht.«
Er merkte, daß der Midshipman den glänzenden Prunksäbel an der Wand anstarrte. Das erinnerte ihn an die Zeit, als Neale auf der alten
Phalarop
e
Midshipman gewesen war, an Adam Pascoe, der sich nach einem eigenen Schiff verzehrte, jetzt aber um seinen geliebten Onkel trauerte – und an die Dutzende, ja Hunderte junger Offiziersanwärter, die er im Lauf der Jahre hatte kommen und gehen sehen. Einige hatten inzwischen Kapitänsrang erreicht, andere den Dienst quittiert, um ihr Glück anderswo zu suchen. Und viele von ihnen waren nicht einmal so alt geworden wie der junge Stirling hier.
Freundlich sagte Herrick: »Nehmen Sie den Säbel ruhig herunter und sehen Sie ihn sich an.«
Der Junge ging in seinem salz- und teerverkrusteten Bootsrock unter den aufmerksamen Blicken Herricks und Ozzards zur Wand hinüber, nahm den Säbel vorsichtig ab und drehte ihn langsam unter dem Licht der Lampe hin und her, um die eingravierten Worte und Verzierungen zu studieren.
Ehrfürchtig sagte er: »Ich wußte gar nicht, Sir – ich meine…« Mit glänzenden Augen wandte er sich um. »Er muß ein großartiger Offizier gewesen sein, Sir.«
Herrick fuhr auf. »Gewesen sein?« Bei seinem Ton zuckte der Junge so erschreckt zusammen, daß er gemäßigter fortfuhr: »Ja, Mr. Stirling, das war er. Mehr noch: ein großartiger Mann.«
Sorgsam hängte der Midshipman den Säbel zurück an die Wand.
»Tut mir leid, Sir, ich wollte Sie nicht kränken.«
»Das haben Sie auch nicht getan, Mr. Stirling. Ich hoffte auf das Unmögliche und vergaß, daß es keine Wunder mehr gibt.«
»Ich – ich verstehe, Sir.«
Stirling zog sich zur Tür zurück, fest entschlossen, kein Detail in diesem Raum, kein Wort dieses Gesprächs mit dem Kommodore jemals zu vergessen.
Herrick sah ihm nach. Junge, du verstehst noch nicht die Hälfte, dachte er. Aber eines Tages, wenn du Glück hast und überlebst, wirst du mich
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