Adorkable - Zwei, die sich hassen und lieben
angespannt, dass ich, bevor es pingte und ich meinen Gurt löste, nicht mal bemerkte, dass Michael die ganze Zeit über fest meine Hand gehalten hatte.
So flogen wir sieben Stunden über den Atlantik. Michael sahsich drei Filme an und ich aß Haribos und arbeitete an meiner Präsentation. In dem Moment, in dem ich an der Reihe war, meinen Vortrag zu halten, würde es so aussehen, als sei alles improvisiert. Tatsächlich aber ging ich meinen Vortrag so lange immer wieder durch, bis ich alles perfekt auswendig konnte und nicht einmal mehr auf meine Notizen gucken musste. Ich würde einige Hmm’s und Aah’s einbauen, denn niemand kann besserwisserische siebzehnjährige Klugscheißer leiden, und vermutlich würde ich mich zu Beginn des Vortrags scheinbar aus Nervosität verhaspeln, aber dann plante ich, sehr lustig und aufschlussreich zu sein und als Stimme meiner Generation aufzutreten, was nicht schwer war, denn meine Generation war im Allgemeinen und insgesamt jämmerlich unartikuliert.
Schließlich gingen wir von Bord und liefen kilometerweit durch Korridore, bis wir in der richtigen Schlange landeten, um unsere Pässe kontrollieren zu lassen. Michael wurde auf einmal sehr nervös bei dem Gedanken, dass man seine Fingerabdrücke scannen und er fotografiert werden würde.
»Aber warum?«
»Um sicherzugehen, dass du kein Mitglied von Al-Qaida bist oder auf einer anderen schwarzen Liste mit Flugverboten stehst«, zischte ich.
»Natürlich tue ich das nicht«, flüsterte er zurück. »Behalten sie denn unsere Daten?«
»Natürlich tun sie das.« Ich hatte eigentlich keine Ahnung, ob sie das taten, aber als Michael erschauerte, dämmerte es mir. »Ich verspreche dir, dass sie ganz bestimmt nicht deine Eltern anrufen, um ihnen zu sagen, dass du gerade in die Vereinigten Staaten einreist.«
»Das weiß ich auch«, sagte Michael gereizt, dann seufzte er. »Na ja, auf einer bestimmten Ebene weiß ich das, aber auf einer anderen … Ich habe meine Eltern vorher noch nie so schlimm belogen, und ich habe wirklich Angst, die Strafe der Vergeltung könnte sich über mich ergießen.«
»Du nimmst keine Drogen oder veranstaltest Saufgelage und bist auch nicht willkürlich und unkontrolliert gewalttätig, also kommt hier die Vergeltung gar nicht zum Zug«, beruhigte ich ihn, als uns ein Zollbeamter in eine Kabine winkte. Ich zerrte Michael mit mir. »Alles wird gut. Halt jetzt einfach die Klappe und lass mich das Reden übernehmen.«
Es dauerte noch eine weitere Stunde, bis wir auch unser Gepäck wiedersahen, durch den »Nichts zu verzollen«-Bereich waren und im Fond eines original gelben New Yorker Taxis saßen. Es wäre für mich unmöglich gewesen, uns per U-Bahn zu unserem Hotel zu lotsen, ohne dabei auf Umwegen in Richtung Bronx zu enden.
Es war jetzt schon fast sechs Uhr, und die Nacht war angebrochen, während wir in Queens durch die weiten Ausläufer der Metropole fuhren. Dann waren wir schon auf dem BQE, dem Brooklyn-Queens Expressway, und als wir aus dem Fenster über den Fluss sahen, erhob sich vor uns die hell erleuchtete Insel Manhattan am Horizont, glitzernd wie eine futuristische Fata Morgana. »Wow.« Michael atmete tief ein. »New York. Das sieht wirklich magisch aus.«
Es war nicht ganz so magisch, im Verkehr der Rushhour festzusitzen, aber schließlich fädelte sich unser Taxi durch die engen Straßen des total angesagten Meatpacking District und hielt direkt vor dem Gansevoort-Hotel.
Noch bevor ich überhaupt den Fahrer bezahlt hatte, holte schon einer der Hotelportiers unser Gepäck aus dem Kofferraum des Wagens, und wir wurden in das Hotel geführt, das vollständig aus Glas und Stahlröhren bestand und auf eine glatt glänzende, modernistische Art luxuriös war, die zugleich aufregend, aber auch sehr beängstigend wirkte, besonders, da Michael eine Lederjacke, Kapuzenjacke und Jeans trug und ich ein Paar Golfshorts über pinkfarbenen Strumpfhosen und einen Anorak aus künstlichem Fell mit aufgedrucktem Leopardenmuster.
Der Rezeptionist, der aussah, als würde er für GQ modeln, zuckte nicht mal mit der Wimper, sondern checkte uns professionell in eine Junior Suite ein, überreichte mir einen ganzen Stapel Papiermüll, der irgendwie mit der Konferenz zu tun hatte, einen Haufen Telefonnotizen und unseren Zimmerschlüssel. Fünf Minuten später standen wir im Wohnzimmer unserer Suite und bestaunten mit weit aufgerissenen Augen den ausladenden Plasma-Fernseher und die Klimaanlage und Andy Warhols
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