Adrenalin - Iles, G: Adrenalin - The Devil's Punchbowl
klappt, zieh deine Pistole. Komm sofort zu meinem Wagen. Die Regeln des Spiels haben sich geändert.«
Wenn Kellys Stimme angespannt ist, so wie jetzt, weiß ich, dass wir in Schwierigkeiten stecken.
»Wir sind gleich da.«
29
L inda Church sitzt auf einem Klappstuhl in der Ecke einer kleinen Küche und betrachtet ihr linkes Knie, das geschwollen und purpurn verfärbt ist. Das Gelenk schmerzt nicht allzu sehr, aber ihre Haut ist straff wie eine Trommel, und die Knochen verrutschen beim Gehen. Der untere Teil des rechten Beines sieht noch schlimmer aus. Die Quetschung wird von einem Riss durchzogen, und die Haut fühlt sich an, als wäre sie in einem Mikrowellenherd gegrillt worden.
Sie erinnert sich daran, wie sie aus Quinns Boot sprang, weiß aber nicht mehr, wie sie aufs Wasser prallte. Es war, als käme ihr ein weißer Blitz aus der Dunkelheit entgegen. Als sie erwachte, hatte sie panische Angst zu ertrinken, doch das Geräusch eines Motors in der Dunkelheit ließ sie erstarren, denn sie wusste, dass sie sich nicht das leiseste Plätschern leisten durfte.
Quinn setzte langsam zurück und suchte mit einem Scheinwerfer nach ihr, der den Nebel gelb färbte. Linda war sicher, dass er sie finden würde, denn mit ihrem verletzten Bein konnte sie kaum schwimmen. Als das Boot sich näherte und sie gerade untertauchen wollte, hörte sie, wie etwas gegen den Rumpf schlug – nicht sehr stark, eher so, als träte jemand mit Füßen.
Dann fiel ihr Ben Li ein.
Der Scheinwerfer bewegte sich in einem Bogen zum Himmel hinauf, und auf dem Boot schien ein Tumult auszubrechen. Linda hörte weitere dumpfe Geräusche; dann peitschten zwei Schüsse übers Wasser. Ehe das Echo verklang, wurde der starke Motor hochgedreht, und das Boot drehte nach Süden ab. Gott hatte sie gerettet.
Linda hatte keine Vorstellung davon, ob sie in der Nähe des Ufers war oder in der mittleren Fahrrinne des Mississippi, wo einer der schweren Lastkähne sie im nächsten Moment zermalmen konnte. Aber als sie stromabwärts trieb – dankbar für jedes Gramm Körperfett, das sie bis dahin verflucht hatte –, merkte sie, wie ihr gesundes Bein über Sand scharrte. Der Fluss hob sie auf eine sanft abgeflachte Sandbank. Als sie endlich zum Liegen kam, den schwarzen Himmel vor Augen, fühlte sie sich wie Moses im Schilf. Doch anders als Moses wurde sie von niemandem gefunden. Wie lange sie dort lag, konnte sie nicht einmal schätzen. Irgendwann vor Anbruch der Morgendämmerung rappelte sie sich auf, hinkte in Richtung des Deichs und schleppte sich schließlich über schweren, fruchtbaren Boden – die Ackerkrume, die ihr Großvater sich immer an die Nase gehalten und daran geschnüffelt hatte wie an Pfeifentabak. Beinahe hätte sie vor Schmerz geschrien, als sie auf den Deich kletterte.
Oben auf dem Deich war eine Schotterstraße, die, wie Linda vermutete, von New Orleans bis Missouri verlief. Auch der Deich ließ sie an ihren Großvater denken. Er hatte ihr erzählt, wie man während der Flut von 1927 die Neger und die Kühe dort hinaufgebracht hatte, um sie vor dem steigenden Wasser zu schützen; sie waren wochenlang dort geblieben.
Linda wusste, dass sie nicht auf dem Deich weitergehen durfte, so gern sie es getan hätte. Vor dem Morgengrauen würden dort Lastwagen entlangfahren, und wenn Quinn nur einen einzigen Mann losschickte, der am Ufer nach ihrer Leiche Ausschau halten sollte, würde er sie entdecken und mit seinen Scheinwerfern auf der Stelle bannen wie ein todgeweihtes Wild. Andererseits konnte sie sich nicht gut genug bewegen, um sich schnell zu entfernen. Also war sie an der anderen Seite des Deiches hinuntergerutscht, zu dem Gestrüpp neben den Entnahmegruben, mit deren Inhalt man die Deiche gebaut hatte. Linda war an den Gruben entlanggehinkt, bis die Sonne aufging, den Blick unverwandt auf den Boden geheftet, um nicht von einer Schlange überrascht zu werden. Linda erinnerte sich noch, wie sie mit einem Freund an einer Entnahmegrube entlanggegangen war, und wie er mit einem dicken Ast die Mokassinschlangen erschlagen hatte. Mit gebrochenem Rückgrat krümmten sie sich und beschrieben endlose Achterknoten, bis sie ertranken und Fleisch für die Biberratten wurden. Sie musste daran denken, wie die Schlangen sich verdreht und wie Peitschen geknallt hatten. War es möglich, dass sie Schreie ausstießen? Konnten Schlangen schreien? Konnten sie einander schreien hören?
Linda ging weiter, bis die Haut in ihrem Nacken vom Sonnenbrand
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