Adrenalin - Iles, G: Adrenalin - The Devil's Punchbowl
gewöhnlich um 23 Uhr, doch Sands hat angeordnet, dass die Gastronomie während des Ballonfestivals Überstunden macht.
Die Tür öffnet sich wieder mit einem Knall, und Ashley ruft: »Sue ist gerade vorbeigekommen und will wissen, warum du nicht im Dienst warst. Sie ist auf dem Kriegspfad. Lass dich am besten dort draußen blicken, wenn du gehen kannst.«
Sue Darnell war die Personalchefin, ein knallhartes Luder aus Dallas.
»Ich komme! Ich hab Erbrochenes auf der Bluse.«
»Es ist deine Beerdigung, meine Liebe.«
Denk nicht mal an so was, sagt Linda stumm. Mit einer Handvoll Papiertaschentücher wischt sie sich den klammen Schweiß von Gesicht und Stirn, rappelt sich auf und mustert ihre Uniform nach Erbrochenem. Sie hat Glück gehabt.
Die Damentoilette öffnet sich nach Slot Group Seven, einem klirrenden Zirkus des Lärms, der mit Rauch und betrunkenen Glücksspielern gefüllt ist. Der Dunstabzug funktioniert hier oben ums Verrecken nicht. Linda glättet ihren Rock an den Oberschenkeln und versucht, eine gewisse Anmut an den Tag zu legen, als sie sich durch die Schar der Dummköpfe schiebt und sich der Punchbowl nähert.
Sie ist noch zehn Meter entfernt, als sie merkt, dass etwas nicht stimmt. Ashley und Janice stehen neben den Registrierkassen und reden miteinander, ohne sich um drei Gäste zu kümmern, die auf einen Platz warten. Ashleys Mund bildet ein vollkommenes O, dann nickt Janice und plappert drauflos. Als Ashley Linda erblickt, winkt sie diese mit einer raschen Bewegung heran.
»Was gibt’s?«, fragt Linda und kämpft gegen den Drang an, zur Gangway auf dem Hauptdeck zu rennen.
»Janice hat gerade eine SMS von ihrem Exmann gekriegt. Er ist oben bei Bowie’s. Er schreibt, dass jemand in der Silver Street vom Kliff gefallen ist. Anscheinend hat er an der anderen Seite des Zaunes herumgealbert und ist abgestürzt. Tot. Manche sagen, er sei gesprungen.«
Linda blinzelt und versucht, die Worte zu verarbeiten, doch in ihren Ohren summt es leise.
»Wahrscheinlich besoffen«, sagt Janice. »Genau wie Jimmy. Ich würde niemals über den Zaun steigen, selbst wenn ich bekifft wäre. Da sind nur ein paar Zentimeter Beton, und dann nichts mehr.«
»Ein sehr tiefes Nichts«, stimmt Ashley zu. »Wer es wohl war?«
»Ich wette, ein Tourist«, meint Janice. »Jemand, der wegen des Rennens hier ist. Warte mal.« Janice zieht ihr Handy aus der Tasche und schaut sich eine Nachricht an. »Jetzt schreibt Jimmy, dass jemand den Kerl vom Kliff geworfen hat … mein Gott.«
Linda hat den Blick auf Janice gerichtet, aber sie sieht, wie Tim Hals über Kopf durch die Dunkelheit wirbelt …
»Linda?«, sagt Ashley, deren Stimme von ehrlicher Sorge gefärbt ist. »Musst du wieder kotzen?«
Janice greift nach dem Mülleimer hinter der Registrierkasse, doch Linda achtet nicht darauf und geht zurück zur Damentoilette. Die Mädchen hinter ihr rufen etwas, aber sie kann den Sinn nicht erfassen. Nun läuft sie an der Toilettentür vorbei und nähert sich der dicken Glastür, die zum Aussichtsdeck führt. Der Oktoberwind trifft sie voll ins Gesicht, und sie ist froh über die Abkühlung. Flussaufwärts erkennt sie die Lichter der Häuser in der Clinton Avenue, dann Weymouth Hall. Irgendwo dort oben sollte Tim sich heute Nacht mit Penn Cage treffen. Sie will ihren Gedanken keinen freien Lauf lassen. Tim ist dort, sagt sie stumm, in diesem Augenblick, und er übergibt Penn das, was ihm heute in die Hände gefallen ist. Auf diesen Gedanken konzentriert, holt sie ihr eigenes Handy aus der Tasche und wirft es durch die Reling in den Fluss drei Decks unter ihr. Sie hört das Plätschern nicht, aber sie sieht einen silbernen Spritzer im Mondlicht, als das Telefon untergeht. Linda ist sich sicher, dass ihr Körper zwischen ihrer Hand und der Überwachungskamera war, während sie das Telefon über Bord warf, denn sie hat diese Aktion ein Dutzend Mal im Geiste geprobt, genau wie Tim es ihr geraten hat.
»Geh weiter«, sagt sie unhörbar und schreitet zu der Treppe, die das Servicepersonal benutzt, um zum Hauptdeck zu gelangen. »Bleib nicht so lange stehen, dass die Angst dich lähmen kann.«
Damit zitiert sie Tim – wie eine Heldin, die im Geist die Worte ihres Mentors wiederholt. Sie schlüpft durch den Souvenirladen und schreitet dann am Fuß der Rolltreppe vorbei. Dies ist der schwerste Teil ihrer Reise. Ihr Instinkt drängt sie, durch die breite Passage zwischen den Spielautomaten zu laufen, durch den Haupteingang und die
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