Adrenalin - Robotham, M: Adrenalin - The Suspect
wusste, wie ich Vergnügen finden konnte. Ich wusste, wie ich das, was man mir gab, benutzen konnte. Bin ich deswegen ein Flittchen? Manche Menschen verdrängen ein Leben lang oder machen andere Menschen glücklich oder sammeln Punkte, von denen sie glauben, dass man sie im nächsten Leben einlösen kann. Ich nicht.«
»Sie haben Ihren Mann beschuldigt, Bobby missbraucht zu haben.«
Sie zuckt die Achseln. »Ich habe die Waffe bloß geladen. Ich habe sie nicht abgefeuert. Das haben Leute wie Sie übernommen. Ärzte, Sozialarbeiter, Lehrer, Anwälte, Gutmenschen …«
»Haben wir uns geirrt?«
»Der Richter war anderer Meinung.«
»Was glauben Sie?«
»Ich glaube, dass man manchmal vergessen kann, was die Wahrheit ist, wenn man eine Lüge nur oft genug hört.« Sie richtet sich auf und drückt auf einen Knopf über ihrem Kopf.
Noch kann ich nicht gehen. »Warum hasst Ihr Sohn Sie?«
»Letztendlich hassen wir alle unsere Eltern.«
»Sie fühlen sich schuldig.«
Sie ballt die Fäuste und lacht heiser. Ein Ständer aus Chrom mit einer Morphiumlösung schwankt hin und her. »Ich bin dreiundvierzig Jahre alt und ich sterbe. Ich zahle den Preis für alles, was ich getan habe. Können Sie für sich dasselbe behaupten? «
Die Krankenschwester wirkt genervt, dass sie gerufen wurde. Eine der Monitorleitungen hat sich gelöst. Bridget hebt den Arm, um sie wieder anschließen zu lassen, und winkt dabei wegwerfend. Das Gespräch ist beendet.
Draußen ist es dunkel geworden. Ich folge der Wegbeleuchtung zwischen den Bäumen bis zum Parkplatz. Ich nehme die Thermosflasche aus der Tasche und trinke gierig einen Schluck. Der Whisky schmeckt feurig und warm. Ich möchte weiter trinken, bis ich die Kälte und das Zittern meines Arms nicht mehr spüre.
4
Melinda Cossimo öffnet die Tür nur zögernd. So späte Besucher bedeuten für eine Sozialarbeiterin nur selten gute Nachrichten, schon gar nicht an einem Sonntag. An Wochenenden neigen familiäre Spannungen dazu, vor sich hin zu gären, bis die Wut irgendwann überkocht. Ehefrauen werden geschlagen, Kinder laufen von zu Hause weg. Sozialarbeiter freuen sich auf Montag.
Ich lasse ihr keine Zeit, etwas zu sagen. »Die Polizei sucht mich. Ich brauche deine Hilfe.«
Sie blinzelt mich mit aufgerissenen Augen an, wirkt jedoch beinahe ruhig. Ihr Haar ist mit einer großen Schildpattspange hochgesteckt, aber einzelne Strähnen haben sich gelöst und fallen in ihr Gesicht und ihren Nacken. Sie schließt die Tür und schickt mich den Flur hinunter und die Treppe hinauf direkt ins Badezimmer. Sie wartet vor der Tür, bis ich ihr meine Kleidung anreiche.
Ich wende ein, dass ich keine Zeit habe, aber sie reagiert nicht auf das Drängen in meiner Stimme. Ein paar Sachen zu waschen dauert nicht lange, sagt sie.
Ich starre den nackten Fremden im Spiegel an. Er hat abgenommen. Das kann passieren, wenn man nichts isst. Ich weiß, was Julianne sagen würde: »Warum kann ich nicht einfach so abnehmen?« Der Fremde im Spiegel lächelt mich an.
Als ich mit einem Bademantel bekleidet nach unten komme, kriege ich gerade noch mit, wie Mel das Telefon auflegt. Als ich in die Küche komme, hat sie eine Flasche Wein geöffnet und zwei Gläser gefüllt.
»Wen hast du angerufen?«
»Niemand Wichtigen.«
Sie lümmelt sich in einen großen Sessel, den Stiel ihres Weinglases zwischen dem zweiten und dritten Finger ihrer ausgebreiteten Hand. Die andere Hand ruht auf dem Rücken eines Buches, das aufgeschlagen auf der Lehne liegt. Die Leselampe über ihr wirft einen Schatten unter ihre Augen und lässt ihre Mundwinkel hart und herabgezogen erscheinen.
Dies war stets ein Haus, das ich mit Lachen und guter Laune verbunden habe, aber jetzt wirkt es zu still. Eins von Boyds Gemälden hängt über dem Kamin, ein weiteres an der Wand gegenüber. Daneben ein Foto von ihm mit seinem Motorrad auf dem TT-Kurs auf der Isle of Man.
»Und was hast du verbrochen?«
»Die Polizei glaubt, ich hätte Catherine McBride getötet, unter anderem.«
»Unter anderem?« Sie zieht eine Braue hoch.
»Nun, nur noch eine ›andere‹. Eine ehemalige Patientin.«
»Und du wirst mir jetzt sagen, dass du nichts Falsches getan hast.«
»Es sei denn, Dummheit ist ein Verbrechen.«
»Warum läufst du dann weg?«
»Weil jemand mir diese Morde in die Schuhe schieben will.«
»Bobby Morgan.«
»Ja.«
Sie hebt die Hand. »Ich will gar nicht mehr wissen. Ich kann schon genug Ärger bekommen, weil ich dir die Akten gezeigt
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