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Adrenalin - Robotham, M: Adrenalin - The Suspect

Adrenalin - Robotham, M: Adrenalin - The Suspect

Titel: Adrenalin - Robotham, M: Adrenalin - The Suspect Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Robotham
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nehme an, ein paar Leute fühlen sich schuldig, weil niemand sein Fehlen bemerkt hat. Er hat ständig im Garten gearbeitet und Spaziergänge am See gemacht. Jemand aus dem Kirchenchor hat mal an seine Tür geklopft und ein Mann von den Gaswerken hat seinen Zähler abgelesen. Die Haustür war nicht abgeschlossen, aber niemand ist auf den Gedanken gekommen, das Haus zu betreten.« Das Baby zappelt in ihren Armen. »Sind Sie sicher, dass Sie keinen Tee wollen? Sie sehen ein bisschen blass aus.«
    Ich sehe, wie ihre Lippen sich bewegen, und höre auch ihre Frage, aber ich höre nicht wirklich zu. Unter mir hat sich der
Boden aufgetan, ich fühle mich im freien Fall wie in einem in die Tiefe stürzenden Fahrstuhl. Sie redet immer noch. »… ein wirklich netter alter Herr, sagen die Leute. Verwitwet. Aber das wissen Sie wahrscheinlich schon. Glaube nicht, dass er sonst noch Verwandte hatte …«
    Ich bitte sie, ihr Telefon benutzen zu dürfen und muss den Hörer mit beiden Händen festhalten. Die Nummer ist kaum lesbar. Louise Elwood antwortet. Ich muss mich beherrschen, nicht zu schreien.
    »Sie haben gesagt, die stellvertretende Rektorin von St. Mary’s wäre aus familiären Gründen in den Ruhestand gegangen.«
    »Ja. Sie heißt Alison Gorski.«
    »Wann war das?«
    »Vor etwa eineinhalb Jahren. Ihre Mutter ist bei einem Hausbrand ums Leben gekommen, und ihr Vater wurde schwer verletzt. Sie ist nach London gezogen, um ihn zu pflegen. Ich glaube, er sitzt im Rollstuhl.«
    »Wie ist das Feuer ausgebrochen?«
    »Man nimmt an, dass es sich um eine Verwechslung gehandelt hat. Irgendjemand hat eine Benzinbombe durch den Briefschlitz geschoben. Die Zeitungen haben damals einen antisemitischen Hintergrund vermutet, aber davon war später nie wieder die Rede.«
    Ein Klumpen Angst verflüssigt sich unter meiner Haut. Mein Blick ist auf die junge Frau fixiert, die am Herd steht und mich ängstlich beobachtet.
    Ich mache einen weiteren Anruf. Mel nimmt sofort ab. Ich lasse ihr keine Zeit, etwas zu sagen. »Der Wagen, der Boyd überfahren hat: Was ist mit dem Fahrer passiert?« Meine Stimme klingt schrill und dünn.
    »Die Polizei war eben hier, Joe. Ein Detective namens Ruiz – «
    »Sag mir einfach, was mit dem Fahrer war.«
    »Es war ein Unfall mit Fahrerflucht. Ein paar Ecken entfernt wurde ein Jeep gefunden.«

    »Und der Fahrer?«
    »Man nimmt an, dass es ein Teenager war, der eine Spritztour mit einem geklauten Wagen gemacht hat. Am Lenkrad wurde ein Fingerabdruck sichergestellt, aber es gab keine Übereinstimmung mit aktenkundigen Personen.«
    »Erzähl mir genau, was passiert ist.«
    »Warum? Was hat das mit – «
    »Bitte, Mel.«
    Sie stottert sich durch den Anfang der Geschichte, versucht sich zu erinnern, ob es halb acht oder halb neun war, als Boyd an jenem Abend ausging. Die Tatsache, dass sie ein Detail wie dieses vergessen haben könnte, beunruhigt sie. Sie macht sich Sorgen, dass Boyd in ihrer Erinnerung verblasst.
    Es war der Abend des Guy Fawkes Day, Schießpulver und Schwefel hingen in der Luft. Die Jugendlichen aus der Nachbarschaft hatten sich in ausgelassener Erwartung um die Feuer versammelt, die aus Holzresten in Schrebergärten und auf Brachgrundstücken entzündet wurden. Boyd verließ das Haus, um Tabak zu kaufen. Er fuhr in seine Stammkneipe, trank ein schnelles Pint und nahm auf dem Rückweg bei einem Kiosk ein Päckchen seiner Lieblingsmarke mit. Er trug eine leuchtende Weste und einen knallgelben Helm. Sein grauer Pferdeschwanz hing über seinem Rücken. An einer Kreuzung der Great Homer Street hielt er.
    Vielleicht hat er sich, als er den Wagen hörte, im letzten Augenblick umgedreht. Vielleicht hat er in jenem Bruchteil einer Sekunde, bevor er unter dem Ochsenfänger verschwand, sogar das Gesicht des Fahrers gesehen. Sein Körper wurde, eingeklemmt in dem verbogenen Rahmen des Motorrads, ein paar hundert Meter unter der Karosserie mitgeschleift.
    »Was ist los?«, fragt Mel, und ich sehe ihren breiten roten Mund und ihre ängstlichen grauen Augen vor mir.
    »Wo ist Lucas Dutton jetzt?«
    Mel antwortet mit ruhiger, aber brüchiger Stimme. »Er arbeitet
für irgendein Institut, das die Regierung in Fragen von Drogenmissbrauch Jugendlicher berät.«
    Ich erinnere mich an Lucas. Er färbte seine Haare, spielte Golf mit einem niedrigen Handicap, sammelte Streichholzschachteln und Scotch-Sorten. Seine Frau war eine Theaterpädagogin; sie fuhren einen Skoda und verbrachten die Ferien in einem Wohnwagen

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