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Adrianas Nacht

Adrianas Nacht

Titel: Adrianas Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leon von Winterstein
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jungenhaft waren. Ich mochte viele ihrer Gedanken, auch wenn ich fand, dass sie vieles, wohl auch, weil sie noch so jung war, in meinen Augen falsch sah. Aber das konnte auch daran liegen, dass ich die Dinge inzwischen falsch sah, weil ich viel älter war. Sie hatte alles an sich, dass ich sie begehren müsste. Einen Körper, der jeden Mann einlud, ihn zu erobern. Eine Körperlichkeit, die mich erregen sollte, Grips, Charme, Humor. Aber ich konnte mir, auch als sich im Gespräch immer mehr Vertrautheit einstellte, nicht vorstellen, mit Anna zu schlafen.
    Es war kurios. Ich lief mit dieser nackten Schönheit händchenhaltend durch die Agentur, zeigte ihr, was wir da so machten, erklärte, wie der Job ablief, wobei sie hin und wieder daran erinnerte, dass das ja kaum anders sei als bei ihr. Ich in Hemd, Anzughose, Schuhen, sie nackt, jung, schön, herrlich, frisch duftend immer noch. Ich fragte sie dann irgendwann wirklich, ob sie es denn nicht mal mit der Schauspielerei versuchen wolle, mit ihrem schönen Gesicht und Körper sollte doch zumindest etwas in der Werbung zu machen sein. Sie sah mich an, strahlte und freute sich wirklich von Herzen über diesen Satz. Eine Weile später, wir blätterten in der Kartei mit unseren gegenwärtigen und ehemaligen Klienten, küssten wir uns noch einmal, lange, ruhig. Ich streichelte so gern über diesen Körper, hielt ihn so gern, spürte ihre Haut, sah die blonden Härchen im Sonnenlicht flirren, schaute Details an, den Bogen, in dem ihre Brust zur Schulter hin auslief, ihre Schlüsselbeine, die Grübchen über ihrem Hintern, diese schnörkellose Spalte, ihre dürren Handgelenke, ihre Lippen, die großen Augen, ihr Reflex, manchmal ihren Arm vor die Brüste zu legen, um sie zu verbergen, ihre langen, geraden, muskulösen und doch fast dünnen Beine, ihre großen Jungenfüße, ihre Art zu küssen, ihre Art zu lachen, ihre Art, mir einen Hieb zu versetzen bei bestimmten Witzen.
    Als unsere Zeit dem Ende zuging, was ich bemerkte und ansprach, nicht sie, nahm ich sie in den Arm und hielt sie lange fest. Mit meinen Händen fuhr ich noch einmal über sie, genoss es, küsste sie. Dann fragte ich: »Werde ich dich wiedersehen?«
    Und sie antwortete: »Du hast meine Nummer!«, und lächelte.
    In diesem Moment wusste ich das erste Mal in meinem Leben, das eigentlich immer mit Film zu tun hatte, nicht mehr zu unterscheiden zwischen Wirklichkeit und Spiel bei Anna. War ich Teil einer der dann wirklich grandiosesten Dienstleistungsperformances geworden, die ich je erlebt hatte? War Anna einfach ein perfekter Spiegel, der seinem Klienten genau das gab, was er sich, ob er es denn schon wusste, als er anrief, oder nicht, insgeheim wünschte? Ein Spiegel, der einem dann doch kein Schneewittchen um die Ohren haut, wenn man gerade denkt, der oder die Schönste zu sein? Oder war Anna einfach ein reizendes, aber zuletzt unerfahrenes großes Mädchen, das sich treiben ließ in der Strömung, von der es gerade in der Jetztzeit, der Situation erfasst wurde? Keine Ahnung. Ich hatte keine Idee, wer diese Frau war, und ich glaubte auch nicht, es je zu erfahren.
    Nach zwei Stunden entließ ich Anna. Sie zog sich ganz unbekümmert wieder ihre Sachen an, wir küssten uns ein letztes Mal an der Tür der Agentur, diesmal ganz professionell auf die Wangen wie Serge Gainsbourg und Jane Birkin. Ich wünschte ihr viel Glück und bat sie, auf sich aufzupassen. Sie sagte, sie würde sich freuen, wenn ich mich mal wieder melden würde, und dann zögerte sie, sah auf den Boden und fragte noch einmal, ob ich das mit der Schauspielerei wirklich ernst gemeint habe.
    Ich sagte: »Ja, klar, sonst hätte ich das nicht gesagt.«
    Dann sagte sie: »Okay, ja, das wär auch wirklich schön.«
    Sie ging langsam, auf ihre Schritte achtend, so als wäre sie noch nie eine Treppe hinabgestiegen, aber unbedingt darauf achtend, dass es graziös wirkte, was es dann genau nicht tat, dafür aber liebenswert unbeholfen, die Treppen hinunter.

17.
    Ich stand noch eine Weile in der Tür, lauschte, wie sich ihre Schritte entfernten, hörte das Klacken ihrer Schuhe ganz unten auf dem Steinboden, der von der mit grobem, rotem Teppich belegten Holztreppe zur Haustür führte, und hörte das Schlagen der Haustür. Dann lief ich zum Fenster und sah Anna mit ihrem Handy telefonieren. Einmal blickte sie hoch zu mir, aber ich verbarg mich hinter der Gardine. Sie stand noch fünf Minuten vor dem Haus. Ich hätte sie gern zurückgerufen, beobachtete

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