Aelita
küßte sie auf die verweinten Augen. Sie wurde still. Ihr Mündchen war geschwollen. Verliebt schaute sie von unten her hinauf zu dem Sohn des Himmels wie auf einen Riesen aus dem Märchen.
Plötzlich erscholl in der Dämmerung des Raumes ein leises Pfeifen, und sogleich flammte in dem Oval über dem Toilettentisch ein wolkiges Licht auf. Auf der Scheibe erschien Tuskubs aufmerksam und forschend blickender Kopf.
»Bist du hier?« fragte er.
Aëlita sprang wie eine Katze auf den Teppich und lief zu dem Spiegel. »Ich bin hier, Vater.«
»Leben die Söhne des Himmels noch?«
»Nein, Vater, ich habe ihnen das Gift gegeben, sie sind tot.«
Aëlita sprach kalt und schroff. Sie stand mit dem Rücken zu Losj und verdeckte den Sehschirm.
»Was willst du noch von mir, Vater?«
Tuskub schwieg. Aëlitas Schultern begannen sich zu heben, ihr Kopf fiel hintenüber. Tuskubs grimmige Stimme brüllte: »Du lügst! Der Sohn des Himmels ist in der Stadt. Er steht an der Spitze des Aufruhrs!«
Aëlita wankte. Der Kopf des Vaters verschwand.
Das uralte Lied
Aëlita, Ichoschka und Losj flogen in einem Boot mit vier Flügeln den Bergen von Lysiasira zu.
Unaufhörlich arbeitete der Empfänger elektromagnetischer Wellen: der Mast mit den Drahtenden. Aëlita beugte sich über einen winzigen Sehschirm, horchte und blickte aufmerksam hinein.
Es war schwer, sich zurechtzufinden in den verzweifelten Telefonogrammen, den flehenden Rufen, Schreien und besorgten Anfragen, die durch die Magnetfelder des Mars flogen und wirbelten. Immerhin ertönte ohne auszusetzen die murmelnde stählerne Stimme Tuskubs, die dieses Chaos durchschnitt und es beherrschte. Über die Scheibe des kleinen Spiegels glitten die Schatten der aufgestörten Welt.
Ein paarmal hatte Aëlitas Ohr in diesem Durcheinander von Tönen eine seltsame, langgezogene Stimme aufgefangen, die brüllte: »… Genossen, hört nicht auf die Flüsterer… wir brauchen keinerlei Zugeständnisse… zu den Waffen, Genossen, die letzte Stunde ist angebrochen…. alle Macht den Sow… Sow… Sow…«
Aëlita wandte sich zu Ichoschka um: »Dein Freund ist kühn und wagemutig, er ist ein wahrhafter Sohn des Himmels, hab keine Angst um ihn.«
Ichoschka stampfte wie ein Zicklein mit den Füßen auf und schüttelte ihren roten Schopf. Aëlita war es gelungen, festzustellen, daß ihre Flucht unbemerkt geblieben war. Sie nahm die Hörer von den Ohren. Mit den Fingern rieb sie das beschlagene Bullauge ab.
»Sieh«, sagte sie zu Losj, »hinter uns her fliegen Ich!«
Das Boot schwebte in ungeheurer Höhe über dem Mars. An den Seiten des Bootes flogen im blendenden Lichtschein zwei sich windende, mit braunem Fell bedeckte Tiere mit Hautflügeln, gleich riesigen Fledermäusen. Das Fell war stellenweise abgewetzt; ihre runden Köpfe mit dem gezahnten flachen Schnabel waren den Guckfenstern zugewandt. Da erblickte einer von ihnen Losj, näherte sich und stieß mit dem aufgesperrten Rachen gegen die Scheibe. Losj fuhr mit dem Kopf zurück. Aëlita lachte.
Sie hatten Azora hinter sich gelassen. Unter ihnen lagen jetzt die Felsgrate von Lysiasira. Das Boot ging nun in die Tiefe, überflog den See Soam und landete auf einer weiträumigen Felsplatte, die über einem Abgrund hing.
Losj und der Pilot brachten das Boot in eine Höhle, hoben sich die Körbe auf die Schultern und folgten den Frauen über eine kaum wahrzunehmende und völlig abgetretene uralte Felsentreppe hinunter in die Schlucht. Aëlita ging leicht und schnell voran. Von Zeit zu Zeit hielt sie sich an einem Felsvorsprung fest und schaute sich aufmerksam nach Losj um. Unter seinen riesigen Füßen flogen Steine in die Tiefe und weckten das Echo im Abgrund.
»Hier kam der Magazitl heruntergestiegen, der den Stab mit dem darangebundenen Gespinst in der Hand trug«, sagte Aëlita.
»Gleich wirst du die Stellen sehen, wo die Kreise der heiligen Feuer gebrannt haben.«
Von der Mitte des Abgrunds führte die Treppe in den Felsen hinein, in einen schmalen Tunnel. Aus seinem Dunkel wehte es kalt und feucht. Gebückt und mit den Schultern über die Steine schurrend, konnte Losj sich nur mit Mühe zwischen den glattpolierten Wänden vorwärtsbewegen. Tastend fand er Aëlitas Schulter und spürte sogleich ihren Atem an seinen Lippen. »Liebste«, flüsterte er auf russisch.
Der Tunnel endete in einer halberleuchteten Höhle. Überall schimmerten Basaltsäulen. Im Hintergrund flogen leichte Dampfwolken in die Höhe. Wasser rieselte, eintönig fielen
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