Aendere dein Leben - erfinde dich neu
schien die Entfernung des Corpus callosum keinerlei negativen Effekt auf die Makaken zu haben. Dieser Befund ermunterte die Ärzte, dasselbe Verfahren nun direkt bei Menschen anzuwenden, die an Epilepsie erkrankt waren. Natürlich besteht ein großer Unterschied zwischen einem Makaken und einem Menschen, weshalb man bei den ersten Operationen nur eine teilweise Entfernung des Corpus callosum wagte. Es zeigte sich, dass der epileptische Anfall nach der Operation zwar nicht mehr so leicht auf die andere Gehirnhälfte übersprang, weil ein Teil der dazu erforderlichen Brücke fehlte, doch am Ende fand der Übertritt dennoch statt und leitete in diesem Moment einen neuen Status epilepticus ein. Irgendwie führte die Teilverkürzung des Corpus callosum nur zu einer Verzögerung der vollständigen Symptomatik. Andererseits stellten die Mediziner erleichtert fest, dass die Teilresektion des Balkens offenbar keine unerwünschten Folgen hatte, sodass sie sich nun auch zur kompletten Entfernung des Corpus callosum anschickten. Das Ergebnis war beeindruckend: Der epileptische Anfall konnte sich nicht mehr in seinem ganzen Ausmaß entfalten, und zugleich schien die vollständige Entfernung des Balkens genau wie bei den Affen keine negativen Folgen zu haben. Ab diesem Moment hielt man das Corpus callosum für ein Areal, das eigenartigerweise verzichtbar erschien.
Viele Jahre blieb es dabei– bis ein Wissenschaftler namens Roger Sperry auf den Plan trat, der sich mit den sogenannten kalifornischen Split-Brain-Untersuchungen beschäftigte. Bei diesen Untersuchungen ging es um Patienten, denen vor Jahren, häufig noch in der Kindheit, das Corpus callosum entfernt worden war. Die meisten waren inzwischen erwachsen und führten ein völlig normales Leben.
Sperry stellte sich eine Reihe Fragen: Wie ist es möglich, dass man einen Bereich mit ähnlichen Eigenschaften abtrennen kann, ohne dass das Gehirn davon Notiz nimmt? Auf welche Weise erfährt die eine Seite des Gehirns, was auf der anderen Seite geschieht, wenn sie nicht mit ihr kommunizieren kann? Diese Fragen ließen ihn unermüdlich weiterforschen, bis er schließlich das Geheimnis entschlüsselte. Dafür wurde er 1981 mit dem Nobelpreis für Medizin oder Physiologie ausgezeichnet.
Was dieser Neurobiologe am California Institute of Technology herausfand, war weit mehr als eine Erklärung, weshalb bei den Erkrankten nach der Entfernung des Corpus callosum keine Defizite auftraten. Roger Sperry stellte nämlich etwas so Faszinierendes und Überraschendes fest, dass es uns noch heute schwerfällt, dies vollständig zu begreifen.
An dieser Stelle möchte ich zunächst genauer auf die Funktionsweise des Gehirns eingehen, damit Sie besser verstehen, auf welchen Grundlagen die Entdeckungen von Professor Sperry beruhen und wie wichtig diese für unser Leben sind. Wenn die Augen geradeaus gerichtet sind, wird alles, was im Sichtfeld des linken Auges liegt, im Gehirn von der gegenüberliegenden Hemisphäre wahrgenommen, also der rechten, und alles, was im Sichtfeld des rechten Auges liegt, wird in der linken Hirnhälfte registriert. Was wir hingegen auf der linken Seite hören, läuft in beide Gehirnhälften, ebenso die Wahrnehmung auf der rechten Seite. Andererseits wird die rechte Körperseite von der linken Gehirnhälfte gesteuert und die linke Seite von der rechten Gehirnhälfte. Falls Sie also jemanden kennen, der einen linksseitigen Schlaganfall erlitten hat, werden Sie bemerken, dass die Körperseite, mit der dieser Mensch Schwierigkeiten hat, die rechte ist.
Wenn ich einer Person auf einem Bildschirm ein Bild so zeige, dass sie es nur mit der linken Gehirnhälfte sehen kann, weil ich es nur dem rechten Gesichtsfeld präsentiere, und zugleich verhindere, dass diese Person den Kopf drehen kann, wird deren rechte Gehirnhälfte ohne intaktes Corpus callosum keine Ahnung haben, was die Person gerade sieht.
Sperry erfand nun eine Linse, die jeweils einer Gehirnhälfte den Zugang zum Gesichtsfeld der anderen verwehrte. Danach legte er Männern Bilder vor, darunter auch solche von nackten Frauen. Die Bilder wurden so präsentiert, dass sie diese nur mit der linken Gehirnhälfte wahrnehmen konnten. Bei den Versuchspersonen, denen das Corpus callosum entfernt worden war, konnte die Information nicht in die rechte Gehirnhälfte übergehen.
»Was sehen Sie?«, fragte Sperry.
»Das sind nackte Frauen, Herr Professor.«
Bei diesen Antworten fiel allerdings auf, dass die Antworten von
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