Äon
verständlichen Reaktion auf die Schrecken des Todes.
Es war nicht zu glauben. Patricia klappte das Buch zu und schloß die Augen. Da saß sie und las in einem Buch von Ereignissen, die sich nicht – noch nicht – zugetragen hatten, die in einem andern Universum geschehen waren.
Sie schluckte den Kloß in ihrem Hals. Wenn es Wirklichkeit war und tatsächlich passieren würde, dann müßte man etwas tun. Sie blätterte durch den Anhang.
Auf Seite 567 fand sie, was sie suchte. Auf den nachfolgenden zweihundert Seiten waren alle bombardierten Städte der Welt mit den geschätzten Zahlen der Verletzten und Toten verzeichnet. Sie suchte Kalifornien und fand fünfundzwanzig Städte, in denen jeweils zwei bis dreiundzwanzig Sprengköpfe niedergegangen waren. Los Angeles: dreiundzwanzig auf zwei Wochen verteilt. (»Spasmus« – wie in einer Fußnote erläutert wurde.) Santa Barbara: zwei. San Francisco – einschließlich Oakland, San Jose und Sunnyvale – zwanzig innerhalb von drei Tagen. San Diego: fünfzehn. Long Beach: zehn. Sacramento: einer. Fresno: einer. Vandenberg Space Operations Center: zwölf, gleichmäßig auf den Küstenstreifen verteilt.
Luftwaffenstützpunkte in oder bei Städten einschließlich ziviler Flugplätze, die militärisch genutzt werden konnten: dreiundfünfzig. Alle Weltraumfahrtszentren rund um den Globus, auch in kriegsneutralen Ländern waren zerstört worden (wieder die Fußnote »Spasmus«).
Patricia wurde schwindelig. Das Buch schien ihr zu entgleiten. Es stellte sich weder Starrblick noch Wahrnehmungsverlust ein, nur eine Art Isolationsgefühl. Sie war Patricia Luisa Vasquez, vierundzwanzig; und weil sie jung war, hätte sie noch lange zu leben. Ihre Eltern hätten, weil sie sie von Kindheit an kannte, noch lange zu leben, noch unvorstellbar lange. Und auch Paul wäre – da sie sich gerade erst kennengelernt hatten und weil er der erste Mann war, der überhaupt versuchte, zu erfassen, was es mit ihr auf sich hatte – sicher.
Alle lebten sie in einer Gegend, die sich (vielleicht) in Dampf auflösen würde.
Es war ganz einfach. Sie wollte das Buch mitnehmen, wenn sie diesen Ort verlassen würde, was vielleicht schon in einigen Tagen wäre, wollte es mitnehmen auf die Erde und den Leuten zeigen. (Vielleicht hatte das schon jemand gemacht inzwischen.)
Und wenn die Universen entsprechend ähnlich wären, so daß eine Übereinstimmung der nahen Zukunft in Frage käme, dann wären die Leute zum Handeln gezwungen. Angesichts des bevorstehenden Atomkriegs würden die Leute mit der Abrüstung beginnen und Reue zeigen. Mein Gott, wir hätten es nie so weit kommen lassen dürfen. Betrachten wir das als eine Gnade und…
»Herrgott!« Sie schlug das Buch zu und stand auf.
Lanier spazierte mit ihr durch den vernachlässigten Park bei der Bibliothek. Patricia weinte fünf Minuten lang, dann riß sie sich zusammen. Es fiel ihr so schwer, die Fragen, die sie stellen wollte, in Worte zu kleiden. Und wenn sie die Antworten wüßte, würde sie vielleicht durchdrehen…
»Hat schon jemand verglichen? Ich meine ihre und unsere Geschichte?« fragte sie.
»Ja«, erwiderte Lanier, »ich. Und Takahashi.«
»Er weiß so viel wie wir?«
Lanier nickte.
»Was habt ihr festgestellt? Ich meine, sind es ähnliche Welten?«
»Die Unterschiede in den geschichtlichen Quellen sind recht gering und lassen sich durchaus als quellenbedingte Abweichungen auffassen. Große Unterschiede gibt’s also nicht. Bis auf den Stein.«
»Und die in den Büchern geschilderte Situation… – tja, klingt ganz nach dem, was sich jetzt auf der Erde abspielt, nicht wahr?«
»Ja.«
»Es hat also niemand was aus dem Kleinen Tod gelernt?«
»Scheint so.«
Sie setzte sich unter einen toten Baum auf den Rand eines Pflanzbeckens aus Beton. »Wissen sie es drunten auf der Erde?«
»Elf Leute wissen’s – hier und drunten.«
»Was unternehmen sie dagegen?«
»Was in ihrer Macht steht«, erklärte Lanier.
»Aber der Stein kann alles ändern. Er stellt die entscheidende Wende dar, nicht wahr?«
»Das hoffen wir. In den nächsten Wochen müssen wir so viele Antworten wie möglich bekommen – auf Fragen wie alternative Zeitströme, Alternativwelten und woher der Stein gekommen ist. Kannst du uns helfen?«
»Man muß wissen, warum der Stein hier ist und wie ähnlich die Welten sind, um feststellen zu können, ob’s auf der Erde zum Krieg kommt?«
Lanier nickte. »Das ist sehr wichtig.«
»Ich sehe keine
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