Äon - Roman
Zunahme von Aggressivität und Phantasien, bei denen Gewalt eine Rolle spielt?«
»Nein«, behauptete Sebastian.
»Warum sind Sie in Riga, Herr Vogler?«, fragte die Frau.
»Ich bin im Auftrag von Zack! hier«, antwortete Sebastian. »Ich nehme an, das wissen Sie. Und eigentlich geht es Sie gar nichts an.« Er stand auf. »Ich habe mir nichts zuschulden kommen lassen. Es gibt also keinen Grund für Sie, mich festzuhalten.«
Benjer sah die Frau an. »Was meinen Sie?«
»Ich müsste ihn genauer untersuchen. Aber wir sollten davon ausgehen, dass er kontaminiert ist. Außerdem vermute ich, dass er noch aus einem anderen Grund einen Kontakt mit Simon Krystek suchte.«
Sebastian stand da und blickte auf die beiden Sitzenden hinab, die über ihn sprachen, als wäre er gar nicht anwesend. Der Ärger in ihm drohte sich in Zorn zu verwandeln; er versuchte, die Ruhe zu bewahren.
»Ich schlage vor, wir bringen ihn nach Deutschland«, sagte Benjer.
Die Frau nickte. »Das halte ich auch für das Beste. Wir können ihn in Singerers Klinik unter Beobachtung stellen.«
»Ich beabsichtige nicht, schon jetzt nach Deutschland zurückzukehren, und an einem Klinikaufenthalt liegt mir wirklich nichts.« Sebastian drehte sich um, ging zur Tür und versuchte vergeblich, sie zu öffnen - sie war abgeschlossen.
Als er zurückschaute, nickte Benjer der Frau erneut zu, und beide standen auf. »Wie Sie wollen«, sagte der Mann und trat hinter dem Schreibtisch hervor. »Sie haben recht. Es liegt nichts gegen Sie vor, und deshalb können wir Sie nicht festhalten.«
Benjer kam näher und machte sich an der Tür zu schaffen. Sebastian beobachtete ihn und fragte sich noch, ob es wirklich
so leicht war, als er plötzlich einen stechenden Schmerz am rechten Oberarm spürte. Gleichzeitig hielt Benjer ihn fest, und zwar mit erstaunlich viel Kraft. Sebastian war so verdutzt, dass er überhaupt nicht daran dachte, Widerstand zu leisten. Verwundert blickte er auf das kleine Etwas hinab, das ihm die Frau an den Arm hielt. Ein leises Zischen erklang.
»Was machen Sie da?«, fragte er. Das Überraschungsmoment löste sich auf, und wieder brannte Zorn in ihm, heißer als zuvor. Er versuchte, die Frau fortzustoßen, aber Benjer hielt ihn noch immer an den Armen fest, und außerdem fühlte er sich von einer sonderbaren Mattigkeit erfasst. Seine Gedanken bewegten sich plötzlich wie durch eine klebrige Masse, langsam und mühevoll, und innerhalb weniger Sekunden verlor er das Gefühl für den Körper. Die Knie gaben nach, und zusammen mit der Frau zog ihn Benjer auf den Stuhl zurück.
»Lassen Sie den Wagen kommen.« Die Stimme kam aus weiter Ferne, und dann sah und hörte Sebastian nichts mehr.
Als er zu sich kam, spürte er zuerst einen sonderbaren, kalten Druck an Stirn und Wange. Noch bevor er die Augen öffnete, fand er eine Erklärung dafür: Er saß im Fond einer großen Limousine, auf der linken Seite, und sein Kopf lehnte am Fenster. Er hörte nur das leise, sanfte Brummen des Motors. Niemand sprach, aber Sebastian spürte die Präsenz anderer Personen. Er war sogar in der Lage, sie zu zählen: drei, zwei Frauen und ein Mann.
Etwas sagte ihm, dass er die Augen besser geschlossen halten sollte. Er hörte nicht nur den Herzschlag und das Atmen seiner Begleiter, sondern vor allem den eigenen Puls, und eine erweiterte, nach innen gerichtete Wahrnehmung ließ ihn die einzelnen
Funktionen seines Körpers erkennen. Eine fremde Substanz, vom Blut transportiert und zu langsam von der Leber abgebaut, behinderte einige von ihnen, und Sebastian begann damit, die betreffenden Moleküle aufzulösen. Wie er das anstellte, wusste er nicht genau. Geleitet wurde der Vorgang von einem Teil seines Willens, der zwar mit seinem Bewusstsein verbunden war, sich ihm aber nicht ganz erschloss. Das bedauerte Sebastian, doch letztendlich kam es vor allem auf das Ergebnis an, welches in diesem Fall darin bestand, wieder die volle Kontrolle über seinen Körper zu erhalten.
Das rechte Auge blieb geschlossen, und er hob langsam das linke Lid, setzte dabei keine anderen Gesichtsmuskeln ein, die ihn verraten hätten. Er sah eine nächtliche Straße, auf der nur wenig Verkehr herrschte. Er beobachtete sie eine Zeit lang und glaubte, einige Gebäude wiederzuerkennen, die er am Nachmittag gesehen hatte - sie waren auf der zum Flughafen führenden Lierlirbes-Straße unterwegs.
Der Teil von Sebastian, der die Körperorgane veranlasste, die Moleküle der fremden Substanz -
Weitere Kostenlose Bücher