Aeon
»Gibt’s hier einen Waschraum? Was ich anhabe, trage ich schon eine Woche am Leib.«
Belozerski hockte sich neben Mirski, als die Anweisungen für den Waffenstillstand per Lautsprecher ins feindliche Lager übermittelt wurden.
»Das könnte ein Trick sein«, meinte Belozerski kopfschüttelnd. »Man kann nicht wissen, was für Falschinformationen sie uns vorsetzen werden.«
Mirski reagierte darauf nicht. Er hörte aufmerksam zu und erteilte dann durch Garabedian an sein Bataillon Befehle zur Einhaltung des Waffenstillstands. »Pletnew wird in einer Stunde hier sein«, sagte er, als er die von Garabedian angebotene Zigarette nahm. »Wir können ihn ausquetschen nach Herzenslust. Wenn er wirklich die Wahrheit sagt, dann verhandeln wir.«
»Wir dürfen keinerlei Prinzipien aufgeben«, mahnte Belozerski.
»Wer redet von aufgeben?«, konterte Mirski. Er mochte den Leuteschinder mit der verbissenen Miene und hektischen Gestik nicht.
»Wenn Pletnew die Wahrheit sagt«, betonte Belozerski, »dann müssen wir eine Feste der Revolution begründen hier auf der Kartoffel.«
»Stein heißt das Ding«, bemerkte Garabedian.
»Kartoffel«, wiederholte Belozerski grimmig.
»Da widerspricht keiner«, sagte Mirski, der vielleicht zu viel Geduld aufbrachte.
»Wir müssen dieses Unternehmen als gleichberechtigte Partner angehen.«
»Sie haben alle Frauen«, bemerkte Mirski. Belozerski musterte ihn, als hätte er einen schlechten Scherz gemacht.
»Ja? Genosse General, ich versteh nicht recht …«
»Wir können nicht heimkehren – falls Pletnew recht hat«, sagte Mirski. »Um die Ideale der Revolution fortzuführen, brauchen wir … Frauen. Das ist doch klar.«
Belozerski hatte dazu nichts zu sagen.
»Vielleicht in unsrer Wissenschaftlergruppe …«, mutmaßte Garabedian.
»Die meisten sind Männer«, stellte Mirski fest. »Sehr prestigeträchtig, die Kartoffel. Darum sind nur die ersten Akademiker mit ihren Assistenten hier. Darunter vielleicht fünfzehn Frauen, auf die siebenhundert Soldaten kommen.« Er lachte glucksend und blies den Zigarettenrauch gegen das Betonfundament.
Belozerski saß mit dem Rücken zum Beton und starrte auf seine Hände, die auf die angewinkelten Knie gestützt waren. »Nicht alles in Russland ist zerstört«, brachte er vor. »Da gibt’s Schanzen, Festungen. Davon haben Sie sicher gehört, Genosse General.«
»Die es nicht wissen müssen, denen wird nichts gesagt«, wandte Mirski ein. »Ein Gerücht ist nicht gleich Wirklichkeit.«
»Aber in Podlipki – die geheimen Hangars, die bereitstehenden Helikopter und Flugzeuge … Sicher wird der Parteisekretär, der Verteidigungsrat …«
»Vielleicht«, sagte Mirski, eher um dem Mann den Mund zu stopfen, als ihm beizupflichten.
»Sie werden also mit uns in Verbindung treten.« Belozerski erhob mit strahlenden Augen den Blick. »Wir brauchen einen eigenen auswärtigen Kommunikationskanal. Wenn wir verhandeln, müssen wir verlangen …«
»Daran habe ich bereits gedacht«, sagte Mirski. »Und nun seien Sie bitte still. Ich muss über vieles nachdenken, bis Pletnew eintrifft.«
Der Laster rollte an den Schützenlöchern und den vom wissenschaftlichen Lager abmontierten Stacheldrahtzäunen vorbei. Russen in unpassender, arktischer Tarnkleidung, von denen manche noch den Helm des Raumanzugs trugen, musterten sie skeptisch. Die eigentlichen Raumanzüge waren längst beiseitegeschafft worden und füllten nun die Deponien, zusammen mit den Schilden und den Leichen der glücklosen Soldaten. »So ’n Kampf«, sagte Pletnew tonlos. »Nie wieder!« Major Annenkowski – der Vertreter der Russen in der ersten Kammer – blickte traurig aus dem Wagenfenster und strich sich durchs ziegelrote Haar. »Ich bin dankbar, dass ich noch lebe.«
Lieutenant Rudolph Jaeger übersetzte halblaut für die beiden eskortierenden Marines. Der Laster passierte den Kontrollpunkt beim demolierten Wachhäuschen und fuhr nordwärts.
Am nördlichen Ende der Brücke null warf Lanier einen Blick auf seine Uhr. 14:00 Uhr. Die Marines nickten einander zu, setzten sich langsam in Bewegung und überquerten vereinbarungsgemäß die Brücke zu Fuß.
»Ich hoffe nur, diese verdammten Aufrührer wissen Bescheid«, sagte der junge Sergeant und blickte zurück auf Alexandria.
Durch Kameras in der Bohrlochöffnung der ersten Kammer überwachte Kirchner die Fahrt des Lasters auf derselben Anlage, die vor gerade dreißig Stunden die Aufnahmen vom Ende der Welt präsentiert hatte.
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