Aeon
so breit war wie die Straße in der sechsten Kammer und aus dem gleichen Material bestand. Zu beiden Seiten der Straße breitete sich mehrere Kilometer weit sandiges Hügelland aus mit derbem gelbem Gras. Nicht weit entfernt standen niedrige, knorrige Baumgruppen. Im Westen zogen sich an der gekrümmten Seite der Kammer kleine Seen empor; aus einem der Kappentunnels schien ein Fluss zu strömen. Ein paar Schäfchenwolken standen vor der Kappe. Die Landschaft war bis zu den Grenzen des Röhrenlichts im Osten und Westen einheitlich homogen und freundlich. Die Plasmaröhre selbst trat in der Mitte der Kappe als strahlender Lichtschweif aus.
Patricia spürte, dass sich alle im Wagen gespannt zu ihr wandten. Sie warteten auf ihre Reaktion.
Reaktion worauf? Diese Kammer war bestenfalls ein klein wenig aufregender als die erste. Patricias Schultern verspannten sich. Was sollte sie nur sagen?
Lanier griff zwischen den Sitzlehnen hindurch und tippte sie auf den Arm. »Was siehst du?«, fragte er.
»Sand, Gras, Seen, Bäume. Einen Fluss und Wolken.«
»Schau geradeaus!«
Sie tat es. Die Luft war klar. Die Sicht betrug mindestens dreißig Kilometer. Die Nordkappe schien verdeckt zu sein, zeigte sich jedenfalls längst nicht so deutlich wie die grauen Mauern in den anderen Kammern. Patricia schaute hinauf und kniff die Augen zusammen, um das Ende der Plasmaröhre auszumachen.
Da war kein Ende. Die Röhre ging weiter, war bestimmt länger als dreißig Kilometer, wurde immer schwächer und dünner und schien schließlich fast mit dem Horizont zu verschmelzen.
Natürlich lag in einer nicht gekrümmten Fläche – wie es die Zylinder parallel zur Achse waren – der Horizont viel höher. Bei unbegrenzter Entfernung würde der Horizont in einem echten Fluchtpunkt der Perspektive beginnen …
»Diese Kammer ist länger«, stellte sie fest.
»Ja«, pflichtete Wu ihr zaghaft bei. Chang nickte und grinste wie über einen Witz, wobei sie die Hände sittsam über dem Schoß gefaltet hielt.
»So, damit das klar ist. Wir sind ungefähr zweihundertundzwanzig Kilometer in den Stein vorgedrungen, der insgesamt zirka zweihundertundneunzig Kilometer lang ist. Diese Kammer könnte also etwa fünfzig Kilometer tief sein.« Ihre Hände zitterten. »Aber das ist nicht der Fall.«
»Sieh genauer hin!«, sagte Lanier.
»Eine optische Täuschung. Ich kann die nördliche Kappe nicht sehen.«
»Nein«, sagte Farley viel zu verständnisvoll.
»Also?« Patricia blickte sich im Wagen um. Die anderen verzogen keine Miene, außer dass Chang verstohlen lächelte. »Was soll ich denn, verdammt noch mal, sehen?«
»Sag’s du uns!«, verlangte Lanier.
Patricia überlegte fieberhaft, blickte an der gegenüberliegenden Seite der Kammer empor und versuchte, die Entfernungen in der eigenartigen Perspektive der riesigen Zylinder einzuschät zen. »Anhalten!«
Farley brachte den Wagen zum Stehen; Patricia stieg aus und stellte sich auf die Fahrbahn. Dann kletterte sie über eine Leiter auf die Ladefläche am Wagendach und blickte an der kerzengeraden Straße entlang. Die Straße verlor sich im eige nen Fluchtpunkt – keine Kappe, keine Begrenzung. Mit der Land schaft verhielt es sich nicht recht viel anders.
»Sie ist größer«, stellte Patricia fest. Farley und Lanier standen neben dem Wagen und sahen zu ihr hinauf. Wu und Chang stiegen ebenfalls aus. »Sie ist größer als der Asteroid. Sie geht übers Ende hinaus. Wollt ihr mir das sagen?«
»Wir sagen gar nichts«, erklärte Lanier. »Wir zeige n’s nur. Das ist die einzige Möglichkeit.«
»Ihr wollt sagen, dass sie nicht aufhört, dass sie weitergeht?« Die Panik, die schrille Faszination in ihrer eigenen Stimme entging ihr nicht.
Der Stanford-Professor hatte sich seinerzeit vor sechs Jahren geirrt. Nicht nur Götter und Außerirdische wussten ihre Arbeit zu schätzen. Jetzt wurde ihr klar, warum sie von Vandenberg per Shuttle und OTV auf den Stein heraufgeholt worden war.
Der Stein war innen länger als außen.
Die siebte Kammer ging endlos weiter.
7 UCLA: University of California (Los Angeles). – Anm. d. Übers.
8 Avatar: Im Hinduismus Verkörperung eines göttlichen Wesens beim Herabsteigen auf die Erde. – Anm. d. Übers.
5
Patricia hatte neun Stunden geschlafen, wie sie mit einem Blick auf die Armbanduhr feststellte. Sie lag auf der Pritsche und lauschte dem leisen Flattern der Zeltleinwand im Wind.
Es bestand zumindest in dieser Gegend der siebten Kammer keine
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