Aeon
»Lass diesen Scheiß!«
Cronberry schoss mit zornigen Blicken um sich, plumpste auf den Stuhl zurück und zündete sich eine Zigarette an. Wie nervös sie mit dem Feuerzeug hantierte und wie verkrampft sie die Zigarette zwischen den Fingern hielt, das gefiel Lanier nicht. Wir schwimmen total, dachte er. Wir sind wie Kinder, die mit echten Kanonen, echten Granaten spielen.
»Der Präsident hat gestern angerufen«, sagte Hoffman. »Er ist sehr verärgert wegen der Bibliotheken. Er wünscht, dass sie geschlossen und alle Forschungen eingestellt werden. Er sagt, wir hätten die Kontrolle verloren, und da kann ich an sich nicht widersprechen. Aber Garry trifft nicht mehr Schuld als jeden von uns. Auf alle Fälle wird der Präsident das Aufsichtskomitee des Kongresses über den Stein anweisen, bis auf Weiteres die Forschung einstellen zu lassen. Die Russen kriegen, was sie wollen.«
»Wie viel Zeit bleibt uns?«, fragte Lanier.
»Bis der Befehl durch die Instanzen ist? Eine Woche, schätze ich.«
Lanier grinste kopfschüttelnd.
»Was ist daran so komisch?«, wollte Cronberry, in Rauchschwaden gehüllt, wissen.
»In den Aufzeichnungen steht, dass bis zum Krieg noch zwei Wochen bleiben.«
Hoffman lud Lanier an diesem Abend zu einem Drink in ihr Büro ein. Er kam um sieben nach einem hastigen Abendessen in der JPL-Cafeteria; wieder ließ er seine Agenten an der Tür stehen. Hoffmans JPL-Büro war so nüchtern und praktisch wie ihr Büro daheim in New York, wobei der größte Unterschied darin bestand, dass hier mehr Regale mit Memoblöcken standen.
»Wir habe n’s probiert«, sagte sie und reichte ihm einen Scotch pur. »Tja.« Sie prostete ihm mit einem erhobenen Dubonnet on the rocks zu.
»Das haben wir«, meinte er.
»Siehst müde aus.«
»Bin müde.«
»Last der Welt auf deinen Schultern«, sagte sie mit einem behutsamen Blick.
»Last von ein paar Welten«, sagte er. »Ich entdecke gerade, was für ein zäher Hund ich bin, Judith.«
»Ich auch. Heut Nachmittag hab ich noch mal mit dem Präsidenten geredet.«
»So?«
»Ja. Ich fürchte, ich hab ihn einen Idioten geschimpft. Höchst wahrscheinlich werde ich entlassen oder zum Rücktritt aufgefordert worden sein, wenn du wieder im Orbit bist.«
»Gut für dich«, meinte Lanier.
»Setz dich! Reden wir. Sag mir, wie’s ist! Ich möcht so gern da rauf …« Sie schob Stühle herum, dann setzten sie sich einander gegenüber.
»Warum?«, fragte Lanier. »Du hast die Blöcke gesehen, alle Informationen.«
»Eine dumme Frage.«
»Ja«, pflichtete Lanier ihr bei. Sie fühlten sich leicht be schwipst, obwohl das noch nicht vom Alkohol herrühren konnte. Lanier war dieses Gefühl in Zeiten von Streß schon öfter begegnet.
»Verdammt noch mal, ich kann die Sorge der Russen verstehen«, sagte Hoffman nach einer kurzen Pause. »In den letzten zehn Jahren haben wir ihnen in jeder Beziehung gezeigt, w o’s langgeht: diplomatisch, technisch. Im All und auf der Erde. Gegen unser Können kommen sie auch mit ihrer Beharrlichkeit nicht an. Der Russe ist ein Dinosaurier, der alles hasst, was schneller und wendiger ist. Tja, der kleine Iwan kann ein Computerterminal nicht von einem Traktorlenkrad unterscheiden. Sogar die Chinesen sind heute schon weiter vorn.«
»Die Chinesen werden uns in ein, zwei Generationen vielleicht sogar überholen.«
»Gern. Geschieht uns recht«, meinte Hoffman. »Da kommt also der Stein daher, und wir fangen ihn ab, beanspruchen ihn für uns und lassen ihnen im Interesse der internationalen Zusammenarbeit ein paar bedeutungslose Krümelchen zukommen … Was immer der Stein auch bergen mag, er ist quasi der Grabstein des Ostblocks. Eine unbeschreibliche Technologie fällt uns in die Hand. Herrje! Ich wünschte, wir könnten uns an einen Tisch mit ihnen setzen und vernünftig reden … Aber die sind ängstlich und verschreckt, und unser Präsident ist strohdumm.«
»Ich glaube nicht, dass dumm das richtige Wort ist. Eher kriegsneurotisch.«
»Er wusste um den Stein, als er sich um die Präsidentschaft bewarb.«
»Er wusste, dass der Stein unterwegs war«, sagte Lanier. »Und recht viel mehr wusste damals keiner von uns.«
»Ach, der kann mich mal, wenn er keinen Spaß versteht«, sagte Hoffman, die auf die Fensterjalousien starrte. »Als du noch Pilot gewesen bist seinerzeit«, fuhr sie fort, »bist du einmal abgestürzt. Wohin hast du dich gewünscht vor dem Aufprall der Maschine?«
»An die Armaturen«, erwiderte Lanier ohne Zögern.
Weitere Kostenlose Bücher