Aerger mit dem Borstenvieh
weggekickt.«
Er zog die Augenbrauen hoch und sagte: »Ich kann nichts entdecken.«
Ganz behutsam inspizierten wir alle beide nochmals die Zitzen der Kuh. Doch nach einigen Minuten erspähten seine jüngeren, besseren Augen den Grund des Ärgers: ein Büschel von winzig kleinen Stacheln, kaum sichtbar, die so gerade eben aus der Haut am Ende der empfindlichsten Zitzenstelle herausragten. Sie müssen qualvolle Schmerzen verursacht haben, als die Maschine arbeitete. Kein Wunder, daß sie ausgeschlagen hatte.
Das Problem war nur — wie konnten wir die Stacheln herausziehen? Meine Fingernägel waren stumpf und abgebrochen; Johns waren auch in keinem besseren Zustand. Die Zangen, die wir benutzten, um Nägel und Metallstücke aus den Kuhhufen zu ziehen, waren zu grob. Dennoch versuchten wir es mit ihnen und mit der Hilfe von anderen Methoden etwa eine halbe Stunde lang und erhielten sofort einen heftigen Protest, wenn wir Ermintrude in die Haut zwackten. Am Schluß entschieden wir, sie noch ein Weilchen in Ruhe zu lassen und während des Frühstücks auf einen guten Einfall zu warten.
Mit großen Augen lauschte Shirley unserem Problem. »Arme Ermintrude! Stacheln ausgerechnet an der Stelle!«
Das erforderte, wie sie uns versicherte, unbedingt eine Frauenhand. Sofort hörte sie auf, für uns die Mahlzeit weiterzukochen und eilte der Kuh zu Hilfe. Unser Protest wurde einfach ignoriert. Auf der Stelle rannte sie in den Melkstall, ausgerüstet mit einer Pinzette für Augenbrauen und einer Kinderlupe.
John stieß mich in die Seite, als der weibliche Albert Schweitzer sich über seine Aufgabe beugte. Es würde nicht mehr lange dauern, daß ein gefährlich ausschlagender Huf unseren maskulinen Stolz wieder aufrichtete. Doch es sollte nicht sein. Ermintrude schien Geschicklichkeit und Mitgefühl zu spüren; ganz still und geduldig hielt sie aus, während meine Frau fünf ekelige Stacheln ausfindig machte und herauszupfte.
»So«, meinte Shirley, triefend vor Eigenlob, »das ist das letzte widerwärtige Stückchen.«
Die Kuh wendete den Kopf nach ihr um und schenkte ihrer Wohltäterin einen langen Blick voller Selbstmitleid und Dankbarkeit aus ihren sanften braunen Augen mit den langen Wimpern. Die Szene konnte einem zu Herzen gehen!
Jetzt blieb uns nichts anderes mehr übrig, als die Kuh schnell fertigzumelken, sie hinauszulassen und zu unserem Frühstück zurückzukehren. Wir mußten uns damit abfin-den, immer wieder und wieder zu hören, daß eine > schwache Frau< gezwungen worden war, zu unserer Rettung herbeizueilen.
»Bei ihr hört es sich fast so an, als handele es sich um eine Herztransplantation und nicht um einige kleine Splitter«, beklagte sich John, als wir wieder bei der Arbeit und nicht mehr in Shirleys Hörweite waren.
Er hatte recht: Als die Geschichte schließlich unseren Freunden aus London berichtet wurde, klang sie so dramatisch wie eine Fernsehserie.
Während des ganzen Sommers hatten wir Ärger mit den Disteln. Doch Gras und Kühe gehören einfach zusammen. Das Zeug, das in den städtischen Parkanlagen mit dem Schild >BETRETEN VERBOTEN< versehen ist, war unsere Existenzgrundlage. Und je mehr wir davon Gebrauch machen konnten, um so eher würde unser Bankkonto aufhören, sich zu Tode zu bluten.
Man sagte Egerton nach, daß es gesundes Weideland hatte und in der Lage war, einen großen Viehbestand zu ernähren. Aber leider hatten sich die dornigen Disteln am oberen Ende der dreißig Hektar eingenistet, und zwar besonders auf dem sogenannten Camp Field, der kleinen dreieckigen Weide, dessen holperige Oberfläche ein altsächsisches Dorf verbarg. Während vieler Jahre hatte das Unkraut dort unkontrolliert sprießen dürfen. Es gab hier ganze Inseln voller Distelpflanzen, die so dicht waren, daß kein Tier dazwischen grasen konnte.
Das konnten wir nicht einfach so hinnehmen. Wenn wir als Bauern überleben wollten, mußten wir unbedingt jeden Quadratmeter unseres Weidelandes nutzen. Wir folgten der Sitte der Einheimischen, befreiten die Mähmaschine von dem sie umgebenden Brett und schnitten die Disteln damit ab. Durch das Entfernen des Brettes wurde verhindert, daß die Disteln reihenweise wie Heu gemäht wurden. So blieben sie einfach da liegen, wo sie geschnitten worden waren. Der Haken allerdings war, daß selbst nach dem Distelnschnitt die Samen ausreiften und wie kleine Fallschirme mit dem Wind fortgetragen wurden. Außerdem waren die Stacheln der gemähten, trocknenden Pflanzen weiterhin
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