Aerzte zum verlieben Band 48
leben hier?“
„Sehr viel weniger als im nächsten Lager. Dort sind es an die zwanzigtausend. Es ist auf chirurgische Eingriffe vorbereitet, aber inzwischen kommen die meisten Menschen hierher, und es wird nicht lange dauern, bis auch wir überfüllt sind. Dann müssen wir ein neues Camp aufschlagen.“
Zwanzigtausend! In einem Lager! Alice wurde ganz anders bei dem Gedanken, und sie fragte sich wieder einmal, ob sie sich nicht zu viel vorgenommen hatte. Was wollte sie beweisen? Und wem?
Dante blieb vor einem khakifarbenen Zelt stehen. „Hier registrieren wir die Neuankömmlinge. Es hört sich zwar bürokratisch an, aber es muss sein. Nicht nur, damit alle die gleiche Versorgung erhalten, sondern auch, um von ihnen möglichst detaillierte Informationen zu erhalten. Manche sind durch unglückliche Umstände von ihren Familien getrennt worden, und nur so besteht eine Chance, dass sie wieder zusammenfinden.“
Eine lange Schlange von wohl fünfzig Wartenden, zumeist Frauen mit Kindern, stand vor dem Zelt. Alice war entsetzt, wie mager und unterernährt die Kinder aussahen, und wie müde und ausgelaugt ihre Mütter.
Dante musste ihre Bestürzung bemerkt haben. „Einige von ihnen sind Hunderte von Kilometern gelaufen. Aber immerhin sind sie jetzt hier. Wir geben ihnen zu essen und Unterkunft, medizinische Behandlung, und nach und nach geht es den meisten dann wieder besser.“
„Den meisten?“, wiederholte Alice beklommen.
Dantes Ausdruck wurde weicher. „Einige schaffen es nicht. Darauf solltest du dich innerlich einstellen.“
Dante stellte sie Kadiga vor, einer fröhlichen Frau mit einem weißen Tuch um den Kopf. „Kadiga ist hier, seit wir das Lager eröffnet haben. Sie ist eigentlich Bibliothekarin. Sie spricht Englisch und Arabisch, aber auch eine Reihe afrikanischer Dialekte. Oder sie versteht zumindest mehr als wir. Deswegen befragt sie die Neuankömmlinge, die anschließend ein Päckchen mit dem Notwendigsten ausgehändigt bekommen. Sie wird dir zeigen, wie das geht. Danach untersuchen Pascale oder Dixie sie, und du kannst sie dann zu Linda begleiten, wo sie geimpft werden. Und wenn du hier fertig bist und immer noch Kraft übrig hast, kannst du im Kinderzelt helfen.“
Alice spürte einen dumpfen Druck im Magen. Im Kinderzelt helfen? Sie hatte keine Ahnung, was dort von ihr erwartet wurde.
Dante wandte sich an Kadiga. „Soll ich mir jemand ansehen?“
„Da ist eine Familie, die Pascale besondere Sorgen macht. Sie ist gerade bei ihnen, ich weiß, dass sie gern eine zweite Meinung hätte.“
„Ich kümmere mich darum“, sagte Dante. „Also, Alice, bis später.“
Die nächsten Stunden vergingen wie im Flug. Alice erledigte, worum sie gebeten wurde, und es war einfacher als gedacht. Hassan saß ihr dabei zu Füßen und ließ sie nicht aus den Augen.
Jedes Mal, wenn Kadiga einen Neuzugang befragt hatte, musste Alice die Erstausstattung zusammenstellen: Coupons für Lebensmittelrationen, Kochgeschirr, Wasserkanister und eine Decke. Manche bekamen noch ein Päckchen mit einer Plastikdecke, einem Paar Gummihandschuhe, Einmal-Rasierer, Band und Papierhandtuch.
„Das ist für die Schwangeren“, sagte Kadiga. „Sie brauchen diese Dinge bei der Geburt. In der Krankenstation ist kein Platz für Gebärende, es sei denn, es gibt Komplikationen.“
Und sie erklärte Alice auch, dass gesunde Flüchtlinge sich ihre Unterkunft selbst bauen mussten aus dem, was sie fanden. Alice hatte bereits mental eine Prioritätenliste erstellt und nahm sich vor, mehr Zelte anzufordern.
Nachdem die Flüchtlinge bei Pascale, einer munteren Französin in den Vierzigern, gewesen waren, brachte Alice sie zu Linda. Trotz der dürftigen Unterkünfte und der primitiven Einrichtung lief alles wie am Schnürchen, und Alice entspannte sich ein wenig. Hassan blieb die ganze Zeit dicht bei ihr.
Als der letzte Patient geimpft worden war, nahm Linda Alice mit zur Kinderstation, bedeutete Hassan jedoch, draußen zu warten.
„So, das ist sie.“ Linda schlug die Zeltplane zurück und ging voran.
Es war ein großes Zelt, dicht an dicht standen Kinderbetten. Alice entdeckte Dante, der sich gerade über einen der kleinen Patienten beugte. Hier lagen nur die schwersten Fälle, wie sie vermutete, denn auch draußen gab es weitere belegte Betten. An einigen saßen Mütter und hielten ihre Kinder, andere Kinder dagegen lagen allein da und weinten still vor sich hin. Der Anblick schnürte ihr das Herz zusammen. Wie mochte es sein,
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