Aerzte zum verlieben Band 48
dabei völlig unbeteiligt bleiben.“
„Ich sage nicht, dass mich ihr Schicksal kalt lässt“, stellte Dante richtig. „Ich meine nur, man darf sich nicht zu sehr darauf einlassen.“
„Lieber zu viele Gefühle als gar keine“, beharrte Alice. „Auch wenn es manchmal so weh tut, dass man glaubt, daran sterben zu müssen.“
Dante sah sie prüfend an. „Ist dir das schon passiert?“
„Ja. Ich habe Menschen verloren, die ich sehr geliebt habe. Aber ich weiß, sie zu lieben und zu verlieren war immer noch besser, als überhaupt nicht zu lieben.“
„Deine Mutter?“
Sie nickte. „Sie verließ uns, als ich fünf war.“ Es war das erste Mal, dass sie mit jemand darüber sprach. Ihr Vater hatte sich immer geweigert, über seine Exfrau zu reden.
Als Fünfjährige hatte sie einfach nicht verstanden, dass eine Mutter ihr Kind verlassen konnte. Jeden Tag wartete sie darauf, dass sie zurückkam, bis sie irgendwann erkannte, dass sie für immer fort war.
„Ich habe nicht begriffen, warum meine Mutter nicht mit uns leben wollte, so wie andere Mütter. Und mein Vater wollte nicht darüber sprechen. Ich glaube, er ist nie darüber hinweggekommen.“
Dante griff nach ihrer Hand, und sie verschränkte ihre Finger mit seinen.
„Sicher, meine Mutter schickte mir Geschenke, extravagante, teure Geschenke, aber ich wollte doch nur sie zurück haben. Sie versprach, mich zu besuchen, wenn sie das nächste Mal in London war, aber sie kam nur ein einziges Mal. Sie war überwältigend schön, wie ein Filmstar, und blieb kaum eine Stunde. Ich flehte sie an, mich mitzunehmen, wenigstens für die Ferien, aber sie lächelte nur und meinte, ihr neuer Ehemann hätte es nicht so mit Kindern. Das war ihr zweiter Ehemann. Offenbar liebte auch ihr dritter keine Kinder, denn sie hat mich nie zu sich nach Hause eingeladen.“
„Wie kann eine Frau ihr Kind verlassen? In Italien wäre so etwas undenkbar.“ Deutlich schwang Zorn in seiner Stimme mit. „Wenigstens hattest du deinen Vater.“ Es lag ihr auf der Zunge, ihm zu erzählen, dass auch ihr Vater kaum Zeit für sie gehabt hatte. Aber sie hatte immer gewusst, dass er sie liebte. Deswegen war sie auch bei ihm geblieben, als er sie brauchte. Nun jedoch, da er wieder heiratete, wollte sie ihr eigenes Leben leben. Wenn doch nur Dante dazugehören könnte …
„Italienische Männer sind gern mit ihren Kindern zusammen. Für uns ist das keine lästige Pflicht, sondern Freude und ein Privileg.“
„Selbst wenn es bedeutet, dass du weniger Motorrad fahren kannst?“, neckte Alice.
Sein selbstbewusstes Lächeln jagte ihr ein Prickeln über die Haut. „Wir können alles. Wir arbeiten, und wir sind für unsere Kinder da.“
„Und die Frau?“
Dante sah sie verwundert an. „Sie hat ihr Heim, ihre Kinder, Freundinnen und ihren Mann. Wenn sie arbeiten will, ist das auch okay.“ Er musterte sie. „Sie soll das tun, was sie glücklich macht.“
„Und wenn sie nicht weiß, was sie glücklich macht? Oder es weiß, aber nicht bekommen kann? Was dann?“
„Sprechen wir jetzt über dich? Du hast doch, was du willst, oder?“
Alice ärgerte sich. „Wenn du glaubst, du kennst mich, Dante, dann täuschst du dich! Du weißt gar nichts über mich. Und noch weniger, was ich mir wünsche. Wenn du es wüsstest …“
Sie sprach nicht weiter, weil Bruno sich rührte und einen leisen Klagelaut von sich gab. Sofort war sie auf den Beinen und hob ihn hoch. „Was ist los mit ihm, Dante?“
„He, he, es ist alles okay. Ein stilles Baby ist ein krankes Baby. Wenn Bruno weint, kann es bedeuten, dass es ihm besser geht.“ Dante nahm das Stethoskop und horchte Brunos Brust ab.
Alice schickte ein Stoßgebet zum Himmel und wagte kaum zu atmen, als Dante schließlich aufblickte.
Aber er lächelte. „Seine Atmung ist besser geworden.“
Vor Erleichterung kamen ihr die Tränen, und dann brachen die Dämme. Alice schluchzte hemmungslos. Sie weinte um Bruno, um all die verzweifelten Menschen in diesem Lager, um ihre verlorene Kindheit und darum, dass das, was sie sich von ganzem Herzen ersehnte, nie in Erfüllung gehen würde.
Dante zog sie an sich und flüsterte ihr Worte zu, die sie nicht verstand. Aber das machte nichts. Nur dieses eine Mal noch wollte sie sich in seinen Armen geborgen fühlen und glauben, dass sie zu ihm gehörte, dass sie ihm kostbar war, dass er sie nie wieder loslassen würde. Auch wenn es ein Traum bleiben musste …
Schließlich versiegten die Tränen, und sie
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