Aerzte zum verlieben Band 48
„Wie du vorhin ganz richtig bemerkt hast, gibt es für einen Arzt fast immer etwas zu tun.“
Würde sie sich damit zufrieden geben? Hörte sie endlich auf, ihn auszufragen?
Er drehte sich um und begann, wieder in dem Topf zu rühren. „Möchtest du jetzt essen? Du bist doch bestimmt vollkommen erschöpft.“
Wie schaffte er es nur, derart unbeschwert mit ihr zu plaudern, während in seinem Kopf diese vergessen geglaubten Erinnerungen durcheinanderwirbelten? Erinnerungen an Liebe und Leidenschaft, an Sehnsucht und Zärtlichkeit. Und dann an Schmerz. An unbeschreiblichen körperlichen und seelischen Schmerz …
Hatte er gerade von Erschöpfung gesprochen? Das Wort hallte in Carolines Ohren nach. Ja, sie war erschöpft. Völlig ausgelaugt. Trotzdem fragte sie sich, ob Jorge gerade versuchte, sie loszuwerden. Zumindest für diese Nacht.
Früher hatte sie sich immer eingebildet, sie könne seine Gedanken lesen. Doch offensichtlich war das schon damals eine Illusion gewesen.
Lag dort ihr Problem? Hatte sie von Anfang an eine falsche Wahrnehmung gehabt?
Ärgerlich schüttelte sie den Kopf. Sie musste endlich mit diesen zerstörerischen Überlegungen aufhören. Sie war hier, damit Ella einen Vater bekam. Das war alles.
„Und? Möchtest du jetzt essen?“
Seine Stimme riss sie aus ihren Gedanken. „Entschuldige. Ja, sehr gern! Anscheinend bin ich müder, als ich dachte.“ Schnell wechselte sie das Thema. „Weißt du schon, in welcher Fachrichtung du dich spezialisieren willst, wenn du wieder in Buenos Aires bist?“
„Ich werde in die Forschung gehen“, erklärte er knapp, während er einen randvollen Teller vor Caroline abstellte.
„Was für eine Verschwendung!“, rief Caroline entsetzt. „Du bist der beste Arzt, der mir je begegnet ist! Es gibt niemanden, der besser mit den Patienten umgehen kann als du!“
Sie wusste, dass seine kurzangebundene Antwort nicht gerade eine Einladung war, dieses Thema weiter zu besprechen, doch sie glaubte zu wissen, was sein Problem war.
Es war an der Zeit, Klartext zu reden.
„Du glaubst, dass die Patienten sich von deinen Narben abschrecken lassen, richtig?“
„Nur manche meiner Narben sind sichtbar“, knurrte er und warf ihr einen finsteren Blick zu.
„Natürlich“, stimmte sie zu. „Die wenigsten Menschen wissen, welche schweren Auswirkungen solche Verletzungen auf die Psyche eines Menschen haben. Aber obwohl ich erst seit einigen Stunden hier bin, habe ich den Eindruck, dass es dir ganz gut gelungen ist, mit dieser Katastrophe fertig zu werden. Du scheinst dich selbst wieder aufgebaut zu haben – Stück für Stück – ungefähr so wie diese Hütte.“
War sie zu unsensibel gewesen? Oder hatte sie sich geirrt? Jorge war bei ihren Worten aufgesprungen und hastig aus der Hütte gelaufen.
Sollte sie ihm folgen? Ihn in den Arm nehmen? Seine vernarbte Haut küssen und ihm zeigen, wie wenig solche Äußerlichkeiten ihr bedeuteten?
Doch wenn er sie gar nicht liebte – wenn er in der E-Mail die Wahrheit gesagt hatte – dann wäre ein solcher Gefühlsausbruch schrecklich demütigend. Sie wusste, dass sie es nicht ertragen könnte, von ihm abgewiesen zu werden.
Also aß sie den Eintopf, der ausgesprochen lecker war, und räumte danach die Küche auf. Immer wieder wanderte ihr Blick zum Fenster, doch Jorge kam nicht zurück. Sie sah, dass in der Krankenstation noch Licht brannte. Vermutlich war er dort.
Frustriert darüber, dass sie nichts anderes tun konnte, putzte sie sich die Zähne, legte sich ins Bett und versuchte, sich auf ihr Buch zu konzentrieren. Doch es war wirklich ein langer Tag gewesen, und so schlief sie schon nach wenigen Minuten ein.
Das Licht der Nachttischlampe brannte noch, doch Caroline schlief. Wie oft hatte er sie damals so vorgefunden – tief schlafend mit einem aufgeschlagenen Buch auf der Bettdecke. Aber nun war alles anders, denn neben ihr, eingekuschelt in eine Decke, lag Ella.
Er hätte einfach das Licht löschen und hinausgehen sollen, doch Jorge konnte der Versuchung nicht widerstehen und blieb noch einige Minuten. Einen kurzen Moment, in dem er nichts anderes tat, als Caroline anzusehen. Ihr silberblondes Haar hatte sich auf dem Kissen ausgebreitet, und ihre hellen Wimpern ruhten auf ihren vom Schlaf geröteten Wangen. Aber am meisten faszinierte ihn ihr Mund – diese vollen, rosigen Lippen.
Jorge seufzte. Er würde niemals über sie hinwegkommen. Seit seinem Unfall hatte es andere Frauen in seinem Leben gegeben.
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