Aerzte zum verlieben Band 48
sondern dass es ihre Hilflosigkeit angesichts eines solchen Schicksals war, die sie starr vor Entsetzen hatte werden lassen.
Damals hatte sie ihm erklärt, wie ungerecht sie es fand, dass der größte Teil des Selbstwertgefühls eines Menschen von dessen Aussehen abhängig war.
Hatte Jorge sich an ihr Entsetzen in dieser Situation erinnert, als er in Frankreich im Krankenhaus lag? Hatte er befürchtet, sie würde bei seinem Anblick genauso zusammenzucken? War das der Grund dafür, dass er sie aus seinem Leben gestoßen hatte?
„Wir können nichts anderes für ihn tun, als ihn bestmöglich wieder zusammenzuflicken“, bemerkte Jorge leise. „Vermutlich wird er schon nächste Woche mit neuen Verletzungen vor unserer Tür stehen. Siehst du die vielen Narben auf seinen Armen und Beinen?“
Also verdrängte Caroline ihre trübsinnigen Überlegungen und machte sich daran, eine Schnittwunde nach der anderen zu nähen und zu verbinden.
Als sie fertig war, berührte Jorge sanft ihren Arm. „Komm. Lila wird hier sauber machen und ihn dann in unser Krankenzimmer bringen. Die Nachtschwester kümmert sich um ihn und sagt Bescheid, falls es ein Problem gibt. Ich habe ihm ein Antibiotikum gegeben und eine Morphinspritze bereitgestellt, falls er heute Nacht aufwacht und Schmerzen hat. Wir sollten jetzt heimgehen und endlich zu Abend essen.“
Doch als Erstes brauchte Caroline eine Dusche. Und eine Erklärung für diese mysteriösen Verletzungen. Wobei die Dusche ihr im Augenblick am wichtigsten war.
„Kann ich vor dem Essen noch duschen?“
Jorge lächelte. „Natürlich. Ich würde mich auch gern frisch machen. Am besten benutze ich die Dusche hier, und wir treffen uns dann in zehn Minuten in der Hütte.“
Wehmütig dachte Caroline daran, dass sie früher immer zusammen geduscht hatten. Doch solche Erinnerungen waren nur hinderlich. Vor allem, wenn sie in Betracht ziehen musste, dass Jorge sie nie wirklich geliebt hatte.
Jorge ließ das lauwarme Wasser über seinen vernarbten Körper laufen. Caroline war damals gerade völlig übereilt nach Australien abgereist, um ihrer Mutter in der Krebstherapie beizustehen, als die Rakete ihr kleines Buschkrankenhaus getroffen hatte.
An den Einschlag selbst konnte Jorge sich nicht mehr erinnern; er musste sich auf die Berichte seiner Kollegen und der Helfer verlassen. Seine Erinnerung setzte erst mit seiner Zeit in der französischen Klinik wieder ein. Er war so schwer verletzt, dass es kaum einen Knochen in seinem Körper gab, der nicht gebrochen war. Dazu kamen die Verbrennungen am gesamten Oberkörper. Zuerst war er von Kopf bis Fuß einbandagiert gewesen, doch schon nach wenigen Tagen hatte man die Verbände abgenommen, um ihn in eine Wanne zu setzen und vorsichtig die abgestorbenen Hautfetzen abziehen zu können.
Es war eine qualvolle Behandlung gewesen. Doch noch qualvoller war die Entscheidung, sich von Caroline zu trennen.
Er hatte zu dem Zeitpunkt nicht nur daran gezweifelt, dass er überleben würde, sondern er war sich außerdem nicht sicher gewesen, ob er überhaupt noch leben wollte .
Nur in einem Punkt hatte er keinerlei Zweifel gehabt: Er wollte um jeden Preis verhindern, dass sie ins nächste Flugzeug sprang, um ihm beizustehen. Er hatte sich eingeredet, dass er ihr die E-Mail ihrer Mutter zuliebe geschickt hatte, die sie dringender brauchte als er. Doch im Grunde seines Herzen wusste er, dass der Grund ein anderer war.
Er konnte die Vorstellung nicht ertragen, dass sie von seinem Anblick abgestoßen sein könnte. Und er wollte unter keinen Umständen von ihr bemitleidet werden.
Nachdem er das Wasser abgestellt und sich abgetrocknet hatte, schlüpfte er in ein weites T-Shirt und in seine Bombachas, diese ausgebeulten Baumwollhosen, die in Südamerika bevorzugt von Viehhirten und anderen körperlich arbeitenden Männern getragen wurden.
Dann machte er sich auf den Weg, um der Frau entgegenzutreten, die wieder einmal sein Leben auf den Kopf gestellt und seine Sinne verwirrt hatte.
Sie stand bereits in seiner kleinen Küche und rührte geschäftig in einem kleinen Topf. Ihre weite Hose sah seiner nicht unähnlich, doch bei ihr waren knallgelbe Bananen aufgedruckt. Darüber trug sie ein ausgeblichenes gelbes T-Shirt.
„Sehr schick“, bemerkte er in bemüht unbeschwertem Ton. Er würde sich nicht wieder auf nostalgische Erinnerungen einlassen.
„Wie mag es nur zu dieser blutigen Auseinandersetzung gekommen sein?“, fragte Caroline und überließ ihm den
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