Aeternum
auf die Stühle. Amanda kam der Aufforderung als Erste nach, Jul nahm neben ihr Platz. Er neigte sich zu ihr herüber, und sein Atem strich ihr über die Wange. Erst sein Duft nach kalten Wintertagen machte ihr bewusst, wie stickig es in dem Raum bereits war. Es roch verbrannt, nach heißem Schiefer und nach Blut. »Danke für vorhin«, flüsterte er. »Du hast mir das Leben gerettet. Es ist nicht deine Schuld, dass der Seraph gestorben ist.«
Amanda schüttelte den Kopf, fuhr sich mit den Händen durchs Gesicht. Wieder sah sie die zerfetzte Gestalt des Seraphs vor sich. Sie schluckte. »Erinner mich nicht daran.«
Sie wandte sich ab, blickte sich nach den beiden Dämonen um, die noch immer standen. Balthasars Blick glitt über Nachaschs blutverschmierten Körper, von seiner zuvor zur Schau getragenen Unterwürfigkeit war nichts mehr geblieben. »Wie schwer bist du verletzt?«
Die Anführerin der Dämonen lächelte, breitete die Arme aus. Teilweise getrocknetes Engelblut haftete an ihren Fingern, ihren Armen, bildete schimmernde Spritzer auf ihren Brüsten und verklebte ihr Haar. Doch kein Kratzer zierte ihre Haut. »Siehst du irgendwo eine Verletzung?«
Balthasar erwiderte das Lächeln kalt. »Ich habe eine gesehen. Du wirst nie wieder fliegen können.«
Amanda spitzte die Ohren. Nachasch konnte sich also nicht einfach neue Schwingen wachsen lassen, obwohl ein Dämon doch in der Lage war, jede beliebige Gestalt anzunehmen? Sie stellte sich vor, wie der linke Flügel der Dämonin von nun an immer ein Stumpf bleiben würde, egal ob er aus schattenhaften Federn bestand oder aus ledriger Haut.
»Dann werde ich von nun an wohl am Boden kämpfen.« Nachasch beobachtete Balthasar lauernd. »Oder denkst du, ich könnte es ohne Schwingen nicht mehr mit einem fliegenden Gegner aufnehmen?«
»Ich denke, du solltest niemanden von deiner … neuen Schwäche wissen lassen. Sie könnte den einen oder anderen auf die dumme Idee bringen, du wärst als Anführer nicht mehr geeignet.«
Amanda hielt den Atem an, verfolgte das Gespräch gebannt. Sie konnte nicht anders, als Balthasar für sein Geschick zu bewundern, sosehr sie ihn auch für alles andere hasste. Sie hatten noch nicht einmal begonnen, über die Waffe zu sprechen, und schon war es ihm gelungen, sich in eine vorteilhafte Position zu manövrieren. Er wusste um etwas, von dem Nachasch möglicherweise nicht wollte, dass es die Runde machte.
Die Dämonin überging die Bemerkung, wechselte das Thema. »Du hast vorhin Luzifer erwähnt. Er lebt?«
Balthasar nickte, und diese Bewegung brach den Bann. Die Spannung zwischen den beiden Dämonen verebbte, ließ nur das Versprechen zurück, dass das letzte Wort in dieser Sache noch nicht gefallen war. Balthasar wandte sich ab, steuerte nun endlich auf einen Stuhl zu. Er nahm Jul und Amanda gegenüber Platz, Nachasch ließ sich am Kopfende des Tisches nieder.
»Unsere beiden Späher …«, Balthasar neigte den Kopf in die Richtung von Jul und Amanda, »… haben den Höllenfürsten unter dem Alexanderplatz gefunden. Und nicht nur ihn.«
Nachasch hob eine Augenbraue. »Das verspricht eine interessante Geschichte zu werden. Warum lassen wir sie uns nicht von einem von ihnen erzählen?«
Amanda versteifte sich, doch Balthasar hob nur gekonnt gleichgültig die Schultern. »Wenn du es so willst. Amanda kann …«
»Nein.« Nachaschs Stimme war von schneidender Kälte. »Ich dachte da eher an den Engel.« Ihr Blick wanderte zu Jul hinüber, und ein warmes Lächeln umspielte ihre Lippen. »Mich würde interessieren, was dich bewogen hat, die Seiten zu wechseln.«
Amanda biss sich auf die Unterlippe. Klar, dass sich die Dämonin ausgerechnet denjenigen von ihnen aussuchte, der am schlechtesten lügen konnte.
33
F ingen nun etwa auch die Dämonen an, ihn einen Dämon zu nennen? Nachaschs Worte erinnerten Jul auf jeden Fall sehr an Michael. Wenn er nicht auf der Seite der Engel war, musste er auf der der Dämonen sein. Aber so einfach war es schon lange nicht mehr. So einfach war es nicht mehr, seit er in den Apfel gebissen hatte. Jetzt gab es Grau zwischen Schwarz und Weiß. Baal schien das zu sehen, aber nicht Nachasch und nicht Michael. War das ein Zeichen, dass die Dämonin einst ein Engel gewesen war und kein alter Gott?
»Ich habe die Seiten nicht gewechselt.«
Nachasch musterte ihn mit einem amüsierten Funkeln in den Augen. »Wenn du es sagst. Aber jetzt berichte.«
Jul seufzte. Er wusste, warum Nachasch ausgerechnet
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