Aeternum
Handelszentrum«. Dahinter lag im Halbdunkel eine weite Eingangshalle. Hoffentlich machte jemand auf.
»Amanda!« Das Wort war mehr ein wütendes Brüllen als ein Ruf. Amanda blickte sich um, sah Balthasar auf ledrigen Schwingen herangleiten. Wind fuhr ihr ins Haar, als er direkt neben ihr landete. Klauen griffen nach ihr und hinterließen schimmernde Blutspuren auf ihrer Bluse. Sie unterdrückte den Drang, ihn wegzustoßen, ließ zu, dass er sie an der Schulter packte und umdrehte. Er deutete auf eine Gestalt ein Stück weiter vom Eingang entfernt. Jul!
Der Engel stand bei einem der gefallenen Dämonen, Pistole in der einen Hand, flammendes Schwert in der anderen. Er feuerte auf einen anfliegenden Artgenossen, zerfetzte mit blau glühenden Schüssen dessen Flügel. Der Dämon, nein, die Dämonin zu seinen Füßen regte sich, kam wieder auf die Beine und streckte ihre schattenhaften Schwingen. Oder was von ihnen übrig war, denn dort, wo die linke sein sollte, ragte nur noch ein Stumpf aus Schwärze auf.
Keiner der beiden sah den Seraph, und selbst wenn sie es getan hätten, hätte es ihnen nicht viel genützt. Mit kräftigen Flügelschlägen kam er näher, während Engel und Dämonen gleichermaßen vor ihm zurückwichen. Eine Insel der Ruhe im Chaos der Schlacht.
»Töte den Seraph«, erklang Balthasars Stimme an Amandas Ohr. »Töte ihn, oder dein geliebter Engel stirbt, und Nachasch mit ihm.«
Amanda spürte ihre eigenen Zähne knirschen. »Sag mir was, was ich noch nicht weiß«, zischte sie wütend, den Blick fest auf den sechsflügeligen Engel gerichtet. Sie würde ihn nicht töten können, aber sie konnte ihn schwer verletzen. Wie sie es schon einmal getan hatte.
Ein goldener Schein umhüllte den Seraph, Jul drehte sich um, rief eine Warnung. Mit einem Mal fühlte Amanda sich in die Höhle unter dem Alexanderplatz zurückversetzt. Wieder sah sie die zerfetzte Gestalt vor ihrem inneren Auge, doch diesmal schob sie das Bild von sich, konzentrierte sich auf das Gefühl der Macht, das sie durchströmte. Alles war gut, niemand konnte ihr etwas anhaben. Ihr nicht und auch denjenigen nicht, die ihr etwas bedeuteten.
Instinktiv wusste sie, was sie tun musste. Sie griff nach der Magie in ihrem Inneren, konzentrierte sich auf den Seraph, schob ihren Geist zwischen die Teilchen, aus denen er bestand.
Federn und Licht stoben auf. Risse entstanden in der menschlichen Hülle des sechsflügeligen Engels, das Schimmern seines Blutes brach hervor. Er taumelte, stürzte, als zerfetzte Flügel ihn nicht mehr tragen konnten. Von seinem eigenen Schwung getragen trudelte er zu Boden. Mit einem nassen Klatschen fiel er der Dämonin mit der verletzten Schwinge vor die Füße – Nachasch.
Ohne zu zögern, beugte sie sich herunter. Eine Klauenhand schoss vor, die andere wehrte schwach zugreifende Hände ab, die wie ausgefranst wirkten, nur noch annähernd menschlich. Nachaschs Finger gruben sich tief in die Brust des Seraphs, drückten zu. Ein Zucken durchlief seinen Körper.
Dann erstarb jegliche Abwehr. Reglos blieb er liegen. Tot?
Unwillkürlich trat Amanda einen Schritt vor, hielt den Atem an.
Das Leuchten seines Blutes wurde schwächer. Es verglomm wie eine erlöschende Kerze. Noch einmal flackerten die Flügel auf, zerbrochene Gebilde aus Licht. Schließlich verschwanden auch sie, ließen nichts zurück als eine Leiche, die genauso gut zu einem Menschen hätte gehören können. Ringsum bildete sich eine rote Lache.
Übelkeit stieg in Amanda auf, nur leicht gedämpft durch die Wirkung von Balthasars Blut. Nun hatte sie wirklich einen Engel getötet.
Erst eine Berührung an ihrer Hüfte holte sie in die Realität zurück. Balthasars Finger fuhren an ihrem Gürtel entlang, zogen einen der Dietriche heraus, den er selbst in das Leder hatte einarbeiten lassen.
»Halt mir die Engel vom Leib, ich öffne die Tür.«
Er konnte Schlösser knacken? Aber wieso auch nicht? In Jahrhunderten Lebenszeit lernte man sicher das eine oder andere. Und es war besser, als die Tür einfach zu zertrümmern, so dass die Engel ihnen danach ungehindert folgen konnten.
Dann stand Jul neben Amanda, legte ihr eine Hand auf die Schulter und schenkte ihr ein müdes Lächeln. Nachasch trat hinter ihn, eine Erscheinung, die direkt aus einem apokalyptischen Gemälde entstiegen zu sein schien. Engelblut glänzte auf ihrer nackten Haut, denn sie trug keinen Fetzen Stoff am Leib. Auch die verstümmelten Schattenschwingen waren mit schimmernden und
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