Aeternum
ungefähr. Die Seraphim sind die höchsten Engel, aber ich stand noch einmal über ihnen, Zweiter nach Luzifer.«
»Solltest du dann einen Seraph nicht leicht besiegen können?« Ohne dass Amanda etwas dagegen tun konnte, wanderte ihr Blick zu der länglichen Erhebung auf der Innenseite von Nachaschs Oberschenkel. Sie war kaum zu sehen, wenn man nicht wusste, wonach man suchen musste.
»Der Fall ist mir nicht gut bekommen. Jehovah hat mich und mein Gefolge besonders tief eingekerkert. Ohne Luzifers Hilfe hätten wir uns nicht befreien können.«
Daher kannte sie den Namen! Jul hatte ihr davon erzählt. »Dann gehörst du zu den Engeln, die sich in sterbliche Frauen verliebt haben? Oder vielleicht eher Männer in deinem Fall …«
»Frauen.« Ein Lächeln huschte über Nachaschs Lippen. »Du hast doch gesehen, wie wir unsere Gestalt verändern können. Ich habe nach dem Tod meiner Geliebten die ihre gewählt, um niemals zu vergessen, was Jehovah mir genommen hat.« Unverhohlener Hass schwang selbst in diesem schwachen Flüstern mit. »Töte ihn für mich und für sie. Für Sarah …« Ihre Stimme versagte, ihr Körper verkrampfte sich. Eine Hand schloss sich um Amandas, und sie schaute Nachasch – nein, Samael – wieder ins Gesicht. Grüne Augen fixierten Amanda, als stelle sie einen Anker dar, der den sterbenden Dämon in der Welt der Lebenden halten konnte. Noch einmal bewegten sich Nachaschs Lippen, doch nur ein dünner Faden Blut fand seinen Weg darüber.
Dann erschlaffte der Griff der Dämonin endgültig. Gleichzeitig schienen ihre Flügel zu schmelzen, zogen sich zusammen, verschwanden in ihrem Körper und ließen nichts zurück als eine schwer verletzte, nackte Frau.
Amanda ahnte, was das zu bedeuten hatte. Bei ihrem Tod schien aus Engeln und Dämonen gleichermaßen alles Übernatürliche zu weichen. Dennoch beugte sie sich vor, tastete an dem schlanken Hals nach einem Puls, den sicher auch Dämonen hatten. Immerhin bluteten sie wie Menschen.
Sie fand keinen.
Für eine Weile saß Amanda reglos neben dem toten gefallenen Engel. Draußen war es still geworden, der Kampf war entweder vorüber oder hatte sich noch weiter von ihr fort verlagert. Die Kehle wurde ihr eng. Sie schniefte, wischte sich mit dem Ärmel ihrer Bluse eine Träne von der Wange. Wie dumm, ausgerechnet jetzt zu weinen. Ausgerechnet um einen Dämon, der versucht hatte, sie umzubringen. Doch das Einzige, woran sie denken konnte, war, dass Nachasch nie eine Chance gehabt hatte. Für ihre Liebe bestraft und sich selbst überlassen, ohne zwischen Gut und Böse unterscheiden zu können. Es war wirklich beschissen tragisch.
Irgendwann erinnerte sie sich an das Stück Knochen in ihrer Hand. Es war nicht mit dem Rest der Schwingen verschwunden. Sie machte sich daran, die Waffe aus Nachaschs Fleisch zu schneiden.
Der spitze Knochen zog eine rote Spur über die Haut. Amanda wandte den Blick ab und schob zwei Finger in den Schnitt, schluckte, um die aufsteigende Übelkeit niederzukämpfen. Ihre Fingernägel schabten über eine harte Oberfläche. Entschlossen drückte sie die Wundränder auseinander, bekam etwas zu fassen, zog. Mit einem leisen Schmatzen löste sich ein Gegenstand aus Nachaschs Fleisch. Erneut würgte Amanda, schmeckte Galle auf der Zunge. Sie atmete tief durch, starrte an die hintere Wand des Raums, bis sich ihr Magen beruhigt hatte. Dann erst senkte sie den Blick.
Sie hielt eine Klinge aus Stein in den Händen. Das Blut der Dämonin hob sich kaum von der dunklen Oberfläche ab. Die Waffe wirkte wie die Feuersteinmesser, die man manchmal in Museen sah, wenn die Aussteller nichts Interessanteres vorzuzeigen hatten. Doch die Klinge war länger, feiner gearbeitet. Und sie besaß einen Griff, ebenfalls aus schwarzem Stein.
Wie alt mochte diese Waffe wohl sein? Amanda stellte sich vor, wie ein inzwischen namenloser Steinzeitgott sie geschaffen hatte, um einen seiner Konkurrenten zu beseitigen. Ehrfürchtig strich sie über die steinerne Klinge. Ihr Herzschlag beschleunigte sich. Sie hatte sie gefunden! Endlich!
Doch ihre Hochstimmung verflog, als sie daran dachte, was noch vor ihr lag. Zuerst einmal musste sie lebend aus diesem Gebäude herauskommen. Und sie musste Jul finden.
Ihr Blick fiel auf ihre rot verschmierten Handflächen. Dämonenblut. Amanda leckte sich über die trockenen Lippen und schluckte. Ihre Fahrkarte nach draußen lag vor ihr. Nachasch hätte sicherlich nichts dagegen.
Sie sah auf, blickte in die toten
Weitere Kostenlose Bücher