Aeternum
Aber zumindest würde es nun keine Unschuldigen treffen. Die Seraphim waren mehr als Befehlsempfänger, sie hatten selbst entschieden, das zu tun, was zu dieser Katastrophe geführt hatte.
Unter seiner Haut pulsierte das gleißende Licht, wartete nur darauf, dass er es freisetzte. Über die Schulter warf er einen Blick zu Baal zurück. »Du hast fünf Sekunden, um ausreichend Abstand zu gewinnen, Dämon.«
42
A manda rollte sich zu einem Ball zusammen. Sie fühlte sich leer, ausgebrannt. Irgendwo würden sich die Seraphim nun gerade wieder sammeln, würden auf Jul zuhalten. Oder auf sie. Aber sie konnte nichts mehr dagegen tun. Sie trieb nur noch durch die Schwerelosigkeit, ohne zu wissen, wohin.
Gleißendes Licht erhellte die Höhle, nur kurz, wie ein Blitz. Amanda zuckte zusammen, Adrenalin schoss durch ihren Körper. Irgendeiner der Seraphim hatte seine gefährlichste Waffe eingesetzt. Irgendjemand war gerade gestorben, und sie hatte nichts getan, um es zu verhindern.
Amanda schüttelte den Kopf, in der Hoffnung, die Schwäche damit zu vertreiben. Ihr Blick klärte sich ein wenig, und sie sah sich um.
Ein Seraph kam auf sie zu! Amanda tastete nach der Quelle ihrer Magie, obwohl allein der Gedanke daran schmerzte, diese glühende Kraft noch einmal durch ihren Körper zu leiten.
Moment … Amanda blinzelte. Dieser Seraph trug Jeans und eine zerfetzte, angesengte Jacke. Auch das weißblonde, zerstrubbelte Haar kam ihr bekannt vor. Dann war er nah genug, dass sie seine Züge erkennen konnte. Amanda schnappte nach Luft. Das konnte doch nicht sein!
Ein plötzlicher Ruck durchbrach ihre Gedanken. Die Schwerkraft griff nach ihr. Amanda fiel, kam unsanft auf hartem Steinboden auf, und Schmerz schoss durch ihr verletztes Bein. Wieder verschwamm ihr Blick, diesmal aufgrund der Tränen, die ihr in die Augen schossen.
Wütend blinzelte sie sie fort, rappelte sich in eine sitzende Position auf. Direkt neben ihr wellte sich der Boden. Sie musste gefallen sein, als sie über die Grenze dieses Bereichs getrieben war. Nun saß sie in einer schmalen Zone, in der die Naturgesetze noch richtig funktionierten, umgeben von Pfützen des Chaos.
Flügel rauschten, Wind fuhr ihr ins Haar. Drei Flügelpaare schlugen gleichzeitig, als der jeanstragende Seraph neben ihr landete. Obwohl der Wind ihr ins Gesicht peitschte, wandte sie den Blick nicht ab. Aus der Nähe bestand kein Zweifel mehr: Es war Jul. In einer Hand hielt er das steinerne Messer.
Trotz ihrer Erschöpfung brach ein Lachen aus Amanda heraus. Sie lachte, wie sie es lange nicht mehr getan hatte. Und auch nachdem es verebbte, blieb ein breites Grinsen in ihrem Gesicht zurück. »Wer hat dich denn befördert?«
Er lächelte, wenn auch nur kurz. »Ich mich selbst. Allerdings mit ein wenig Hilfe deines ehemaligen Meisters, fürchte ich.«
Mit der Spitze der schwarzen Klinge deutete Jul nach oben. Von dem Schwarm der Seraphim war nur noch einer geblieben. Seine drei rechten Flügel waren Stummel, sauber abgetrennt, als hätte irgendwer sie einfach wegradiert. Hatte Jul das Licht gerufen, das sie zuvor gesehen hatte? War dieser Seraph ihm nur knapp entkommen?
Ein Dämon hielt den sechsflügeligen Engel in der Luft, hatte die Krallen tief in sein Fleisch gegraben. Immer wieder schlug er zu, und Amanda glaubte trotz der Entfernung das nasse Reißen von Fleisch zu hören. Die Lichtaura des Seraphs flackerte schwach und unregelmäßig wie eine kaputte Glühbirne.
Neben Amanda schüttelte sich Jul, wandte sich ab. Er drehte das Messer in der Hand, streckte es ihr Griff voran entgegen. Amanda hielt den Atem an, als sie die Finger darum schloss. Durfte sie hoffen? Sie hatte schon einmal geglaubt, es fast geschafft zu haben, aber dann war Balthasar dazwischengekommen. Jetzt waren es nur noch ein paar Meter bis zu ihrem Ziel. Irgendwie würden sich die auch noch bewältigen lassen.
Jul streckte die nun freie Hand aus und half ihr auf die Füße. Schwankend stand Amanda neben ihm, schwer auf seine Schulter gestützt.
»Wo ist Karin? Ist sie …?«
Die Miene des Engels verdunkelte sich. Ehe er antworten konnte, erklang vom Durchgang ein Plätschern. Schritte im Wasser. Amanda wandte den Kopf. Dort, eine Gestalt im Loch in der Bunkerwand. Die goldene Löwenmähne hätte sie überall erkannt.
Michael trat in die Höhle, erstarrte, als sein Blick auf Jul fiel. Hinter ihm erschienen weitere Engel, ihre Mienen eine Mischung aus Unglauben und Entsetzen angesichts des Anblicks, der
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