Aeternum
Jul lauschte angespannt, konnte jedoch weder Zustimmung noch Ablehnung darin hören. Oh, wie sehr er auf Zustimmung hoffte. Er ließ das Schwert sinken, und Michael schlug rückwärts mit den Flügeln, gewann ein wenig Abstand zu ihm. »Er würde nicht gemeinsame Sache mit Dämonen machen, wenn es so wäre. Die Zeichen sind eindeutig, und Iacoajul steht in diesem letzten Kampf auf der falschen Seite!«
Nein! Jul wollte das Wort schreien, wollte erklären, wie die Dinge wirklich standen. Aber was sollte er sagen? Wie konnte er argumentieren, damit die anderen ihm glaubten? Er war sich doch selbst nicht sicher, er hatte kaum Beweise, abgesehen von dem vagen Gefühl, das Richtige zu tun.
In diesem Moment flackerte das Licht des Herrn, das die Höhle erfüllt hatte. Die Engel erstarrten. Mit weit aufgerissenen Augen blickten sie in Richtung der vier Säulen, dorthin, wo Licht und Dunkelheit wogten. Wo sie sich nun immer enger miteinander verwoben. Zusammenflossen, als würden sie gemeinsam zu einem Punkt dicht über dem Boden gezogen.
Jul schluckte. Er wusste, was geschah, hatte gewusst, dass es geschehen würde. Dennoch fühlte er sich, als würde ihm das Herz aus der Brust gerissen. Wie die anderen beobachtete er gebannt das Geschehen.
Licht und Schatten fielen immer schneller ineinander. Der Sog riss selbst an Juls neuen Flügeln, und er zog sie instinktiv enger an den Körper.
Wieder flackerte das göttliche Licht, wurde schwächer wie eine Kerze kurz vor dem Verlöschen.
Dann senkte sich Dunkelheit über die Höhle, nur durchbrochen vom blauen Feuer der Schwerter und dem Schein glühender Federn.
Der Herr war tot.
Es hatte so geschehen müssen, aber das Wissen half nicht. Es fühlte sich dennoch an, als wäre die Welt mit einem Mal kälter und feindlicher geworden. Schon wieder liefen ihm Tränen über die Wangen, und er wischte sie mit dem Handrücken fort.
Als Jul sich zu Michael umwandte, war das Gesicht des Erzengels eine geisterhafte Fratze im Licht des blauen Feuers.
»Was hast du getan?« Seine Stimme war nicht mehr als ein heiseres Flüstern.
»Was hast du getan? « Diesmal schrie Michael. Mit erhobenem Schwert schoss er auf Jul zu. Noch immer mit Tränen in den Augen wich Jul zurück, parierte Schlag um Schlag.
»Du willst die Wahrheit hören?« Seine Stimme klang heiser, aber sie trug weit. Er sprang zur Seite, spürte ein Brennen an der Hüfte, als Michaels Schwertspitze seine Haut ritzte. »Die Wahrheit ist, dass der Herr nicht aus eigenem Willen verschwunden ist. Der Morgenstern wollte ihn töten, aber sie verschmolzen bei dem Versuch. Hast du nicht die Wunde in seiner Brust gesehen?«
Michaels Blick flackerte. Sein nächster Schlag war so hart, dass er Jul beinahe das Schwert aus der Hand prellte. »Das war Teil des Plans! Diese Welt muss vernichtet werden, bevor aus der Asche eine neue, bessere erstehen kann. Seine Verwundung war der Weg, den der Herr dafür gewählt hat.«
Immer weiter wich Jul zurück, den schmalen Pfad zwischen den beiden sich wellenden Pfützen entlang. Er verlor an Boden, nicht so sehr im Kampf als mehr in der Argumentation. Seine Gedanken rasten. Wenn er doch nur die anderen Engel überzeugen könnte! Er warf einen schnellen Blick zu ihnen hinüber. Der Großteil verfolgte den Kampf mit leerem Blick, einige starrten dorthin, wo zuvor noch das Licht des Herrn geleuchtet hatte. Einer hatte die Hände vor das Gesicht geschlagen und weinte.
Wieder schwang Michael sein Schwert hoch über dem Kopf. Jul riss seines hoch und parierte. Unter den blau flammenden Klingen hindurch sahen sie einander in die Augen. »Wenn das alles Teil des Plans war, was sagt dir dann, dass dies hier es nicht ist?«
Der Erzengel erstarrte. Erstmals flackerte Unsicherheit in seinem Blick. Aber nur kurz, dann trat eine stählerne Härte an ihre Stelle. »Nein. Du hast gegen seine Gebote verstoßen, du hast mit Dämonen paktiert und dein Schwert gegen die Heerscharen des Herrn erhoben. Du bist eine Schlange an seiner Brust, der man den Kopf abschlagen muss!«
Michael stieß zu. Im letzten Moment schlug Jul die Klinge beiseite. Sie zischte an seinem Kopf vorbei. Ein brennender Schmerz schoss durch den obersten, rechten Flügel. Er schnappte nach Luft. Glaubte wieder, verbranntes Fleisch zu riechen. Diese Schwingen würde Michael ihm nicht nehmen!
Ohne nachzudenken, stieß Jul das Schwert nach vorn.
Ein Ruck ging durch den Erzengel. Dann erstarrte er. Er öffnete den Mund, aber kein Ton kam
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