Aeternum
hilflos.
Ein ungeduldiges Knurren drang an ihre Ohren. Fiebrig heiße Finger schlossen sich um ihren Arm. Verdammt! Sie hatte nicht aufgepasst!
»Wenn du es nicht tust, tut es Baal.« Luzifer deutete mit dem Kinn auf etwas links von ihr, und sie folgte dem Blick, sah Balthasar, der sich soeben in die Lüfte erhob. Unter ihm blieb eine zerbrochene Gestalt zurück, deren verstümmelte Flügel flackerten und erloschen. Der letzte Seraph. »Mir ist es gleich, wer von euch all die Macht erhält.«
Amanda wandte sich von dem Anblick ab, sah wieder in gelbe Augen, die ihren Blick ohne jede Wärme erwiderten. Doch mit einem Mal wurden Luzifers Züge weich. Leid grub tiefe Linien hinein. Sie schluckte.
»Ich werde diese Schmerzen nicht länger ertragen.« Seine Stimme war nur noch ein Flüstern. Er krümmte sich in Ankündigung eines weiteren Anfalls. »Ich werde nicht länger warten.«
Amanda war sich sicher, er hätte sie niemals um irgendetwas gebeten, weder mit Worten noch mit Gesten. Nur in seinem Blick stand ein stummes Flehen, schnürte ihr die Kehle zu. »Wenn du es nicht über dich bringst, Jehovah die Klinge in den Leib zu rammen, dann versuch es mit mir. Wir sind verbunden, ich glaube nicht, dass es einen Unterschied macht.«
Er zog sie dicht an sich heran, und Amanda spürte die Hitze, die von ihm ausging. Sie hob das Messer. Verdammt, es war nicht unbedingt einfacher, jemanden zu töten, dem man direkt in die Augen sah.
Mit einem Mal ließ er sie los. Blitzschnell schossen seine Finger vor, schlossen sich um ihren Hals. »Tu es jetzt!«, zischte er ihr zu. »Oder stirb.«
Spitze Nägel gruben sich in ihren Nacken. Langsam drückte er zu, schnürte ihr die Luft ab.
Das war es, was sie an Dämonen so hasste. Sie ließen einem nie eine Wahl, und vor allem baten sie nicht, sondern forderten. Allesamt Arschlöcher, und er war das größte von allen. Wütend packte sie das Messer fester. Mit einem Mal erschien es ihr gar nicht mehr so schwer. Als sie die steinerne Spitze an seine Brust setzte, lächelte der gefallene Engel.
Mit einem Ruck stieß sie zu. Und dann war es, als würde eine Flutwelle sie erfassen.
43
J ul begegnete Michaels Blick. Eine Reihe von Gefühlen huschte über die Züge des Erzengels. Erstaunen, Unglauben. Zuletzt verzerrte sich sein Gesicht zu einer Maske unbändigen Zorns. Ein kräftiger Flügelschlag trieb ihn näher an Jul heran.
»Nun kannst du also schon deine Gestalt verändern, Iacoajul. Und du schreckst offensichtlich vor keiner Blasphemie zurück.«
Jul packte sein Schwert fester. »Kein Dämon könnte Flügel nachwachsen lassen, die ein Flammenschwert ihm geraubt hat.«
Wieso nur zitterte seine Stimme? Jul schluckte, sah zu den anderen Engeln hinüber, die hinter Michael zurückgeblieben waren. So viele der verwirrten und entsetzten Gesichter kannte er, entweder aus seiner Erinnerung oder aus der des Seraphs. Er würde gegen sie alle kämpfen müssen, und sei es nur, um Amanda Zeit zu verschaffen. Es wäre nun so leicht, sie zu töten, das Licht pulsierte bereits wieder unter seiner Haut. Doch eigentlich wollte er nichts weniger als einen Kampf. Bisher waren vor allem die Unschuldigen auf der Strecke geblieben. Karin und so viele Engel, die nichts wussten und nichts taten, außer Befehle zu befolgen. Mussten nun noch mehr von ihnen fallen?
Ein weiterer Flügelschlag, Michael schwebte mit flammendem Schwert auf ihn zu. Jul ließ die eigene Klinge locker an seiner Seite herabhängen, sah dem Erzengel entgegen. Einen Augenblick lang glaubte er wieder, verbranntes Fleisch zu riechen, spürte den Schmerz in seinem Rücken. Jul bewegte die Flügel, musste sie spüren, um sich zu vergewissern, dass sie noch da waren. Der Schmerz verebbte.
Die Klinge des Erzengels fuhr herab, und Juls Schwert kam wie von selbst hoch. Flammendes Metall prallte aufeinander.
Über das Klirren von Stahl hörte er die Engel murmeln. Irgendetwas ging dort hinten vor.
»Michael!« War das Muriels Stimme? Juls Kopf flog herum, sein Blick glitt suchend über die Versammelten. Nur aus den Augenwinkeln sah er blaue Flammen flackern. Er machte einen Satz zurück, und brennender Schmerz zog eine Spur über seine Wange. Aber er nahm es kaum wahr. Es geschah etwas unter den Engeln!
»Michael!« Nun war er sich sicher, es musste Muriel sein, der da rief. »Halte ein! Was ist, wenn der Herr ihm diese neuen Flügel gegeben hat? Was ist, wenn tatsächlich wir es sind, die irren?«
Das Gemurmel wurde lauter.
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