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Aeternum

Aeternum

Titel: Aeternum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Bottlinger
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Menschen unter den Trümmern nicht verschlossen und verkauft war, sondern schlichtweg fort.
    Kopfschüttelnd richtete sich Jul wieder auf. Irgendjemand würde diesen Mann für den Rest seines Lebens vermissen. Er räusperte sich. »Eigentlich ist es ein Wunder, dass wir erst jetzt auf eine Leiche stoßen.«
    Ein ersticktes Lachen entrang sich Amandas Kehle. Sie wich einen Schritt zurück, noch immer blass im Gesicht. »Für einen Engel bist du ziemlich abgebrüht.«
    Mit wenigen Schritten war er bei seiner Begleiterin, musterte sie. Ihre Hände zitterten, als sie sich damit über das Gesicht fuhr, doch dann rammte sie sie in die Taschen ihrer Hose. Ein harter Zug legte sich um ihren Mund, und sie straffte sich, nahm eine unnatürlich aufrechte Haltung an. Zumindest äußerlich wirkte sie nun wieder gefasst. Aber Jul glaubte nicht daran, dass es in ihrem Inneren genauso aussah.
    »Für die Dienerin eines Dämons bist du leicht aus der Ruhe zu bringen.«
    »Keine Ahnung, was du für Vorstellungen hast, aber ich laufe normalerweise nicht durch die Gegend und bringe Leute um oder buddle Leichen aus oder was auch immer deiner Meinung nach zu den typischen Beschäftigungen eines Dämonendieners gehört.« Sie klang nur halbherzig angriffslustig, offensichtlich noch immer damit beschäftigt, ihre Entdeckung zu verarbeiten. Noch einmal glitt ihr Blick zu der Hand des Toten, und ein Schauder durchlief sie. Abrupt wandte sie sich ab und setzte ihren Weg fort.
    Jul schloss sich ihr an, beobachtete seine Begleiterin stirnrunzelnd. Was bezweckten die Dämonen damit, jemanden in den Krater zu schicken, der bereits beim Anblick einer Leiche vor Schreck erstarrte? Oder spielte Amanda ihm nur etwas vor? Doch wenn ja, wozu?
    »Und was ist deine Entschuldigung?«
    Die Frage riss ihn aus seinen Gedanken. »Was?«
    Amanda warf ihm von der Seite her einen kurzen Blick zu. »Warum lässt dich eine Leiche so kalt?«
    Erinnerungsbilder stiegen vor Juls innerem Auge auf. Brennende Städte, Wasser, das langsam alles Land verschlang, Heuschreckenschwärme und Engel, die sich des Nachts wie Schatten zwischen Lehmhäusern bewegten, um jedem erstgeborenen Sohn den Tod zu bringen. Er hätte Amanda vom Baum der Erkenntnis erzählen können, von dem Geschmack des Apfels auf seiner Zunge und von den Zweifeln und der Reue, die ihn damals am Fuß des Stammes befallen hatten. Von der gefühlten Ewigkeit, die er gebraucht hatte, um mit beidem zurechtzukommen. Doch er tat es nicht. »Ich sehe seit mehreren tausend Jahren Menschen sterben. Man gewöhnt sich daran.«
    »Oh.« Eine Weile gingen sie schweigend den Gang hinunter. Doch nicht lange. »Ich kann immer noch nicht so ganz glauben, dass du wirklich ein Engel bist. Du wirkst nicht wie die anderen. Als würdest du nicht wirklich dazugehören.«
    Die Worte trafen Jul wie eine Faust in den Magen. Zwar würde er bald wieder zur Schar gehören, seine Schwingen zurückbekommen. Doch noch war er ein Krüppel. Mit einem Mal schienen die Wände des Gangs ihn einzuengen, der Schuttberg über seinem Kopf wurde ihm umso deutlicher bewusst. Schmerzhafte Sehnsucht stieg in ihm auf. Nun, da die Freiheit des Fliegens wieder in greifbare Nähe gerückt war, schien es ihm umso unerträglicher, an die Erde gebunden zu sein.
    »Das geht dich nichts an!« Er beschleunigte seine Schritte, so dass Amanda ein Stück zurückblieb.
    Viel Abstand konnte er allerdings nicht gewinnen, denn der Gang endete abrupt an einer undurchdringlichen Wand aus verkanteten Trümmerstücken. Zwischen diesem Hindernis und der gezackten Bruchkante des Bodens klaffte ein Spalt. Ein Spalt, der in einen Hohlraum unter ihren Füßen führte, eine Schutthalde hinab, die sich irgendwo in der Dunkelheit verlor. Er war gerade breit genug, um hindurchzukriechen.
    Einmal mehr ertappte Jul seine Finger dabei, wie sie mit den Knöpfen seiner Jeansjacke spielten. Eilig vergrub er die Hände in den Taschen. Hatten die Wände des Gangs ihn zuvor noch erdrückt, erschien ihm der Platz zwischen ihnen nun im Vergleich zu dem Spalt angenehm groß.
    Amanda seufzte. »Wenn ich für diesen Ausflug Geld bekommen würde, wäre es definitiv nicht genug.«

12
    M issmutig betrachtete Amanda den schmalen Spalt zwischen der Bruchkante des Bodens und der Schutthalde, die hinab in die Dunkelheit führte. Wenn sie dort unten waren, musste nur etwas Ähnliches geschehen wie vorhin, als Jul beinahe in das Loch gefallen wäre, und sie würden so enden wie der Kerl unter den

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