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Aeternum

Aeternum

Titel: Aeternum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Bottlinger
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umdrehte, merkte sie, dass er neben ihr kniete, die Hände wie zum Gebet gefaltet. Tränenspuren zeichneten sich auf seinem staubigen Gesicht ab, und sein Blick klebte förmlich an dem Spiel aus Licht und Schatten. Es dauerte einen Moment, bis Amanda dämmerte, was die Reaktion des Engels zu bedeuten hatte. Was – oder besser wen sie dort vor sich sah.
    Das Blut rauschte in ihren Ohren, als ihr Blick zu dem Wogen aus Helligkeit und Dunkelheit zurückkehrte. Nun glaubte sie Gestalten darin zu erkennen, undeutlich nur, aber annähernd menschenähnlich. Eine gleißend, die andere ein Schattenriss vor dem Licht. Sie lagen eng umschlungen beieinander. Nein, mehr als das. Sie schienen ineinander zu zerfließen. Es war schwer zu sagen, wo die eine endete und die anderen begann.
    »Scheiße …« Das Wort war nur ein Hauch. Das konnte doch nicht sein, oder? Aber das war ein dummer Gedanke, wenn er von jemandem kam, der kraft seiner Gedanken Gläser zerspringen ließ. Natürlich konnte es sein. Was war denn schon unmöglich, wenn man einmal begann, das Übernatürliche zu akzeptieren?
    Wenn die helle Gestalt war, was sie vermutete, war sie dann für den großen Haufen Scheiße verantwortlich, in dem die Welt steckte? Lenkte sie den Welleneffekt? Ganz bestimmt hätte sie die Macht dazu. Doch was bedeutete dann die Zerstörung des Alexanderplatzes, warum lag dieses mächtige Wesen an diesem Ort, und was hatte es mit der zweiten, dunklen Gestalt auf sich? Die beiden hätten gegensätzlicher kaum sein können, wirkten wie Tag und Nacht, Gut und Böse, Gott und …
    Gott und Teufel.
    Amanda schüttelte den Kopf, um ihre Gedanken zu ordnen. Juls Reaktion und die Geschichte, die er ihr zuvor erzählt hatte … All das passte zu ihrer Vermutung. Dennoch ergab so vieles keinen Sinn. Möglicherweise durfte man das aber auch nicht erwarten, sobald eine bestimmte Menge übernatürlicher Elemente im Spiel war.
    Mehrmals atmete sie tief durch, zwang ihren Blick von dem Wogen aus Licht und Schatten fort. Sie ging neben Jul in die Hocke und legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Jul.« Ihre Stimme war nicht mehr als ein Flüstern, sie wagte es nicht, sie weiter zu heben.
    Er starrte durch sie hindurch. Verdammter Engel, sollte er nicht mit seinen wer-wusste-schon-wie-vielen-hundert Jahren Lebenserfahrung besser mit einem solchen Anblick umgehen können als sie?
    Gut, vielleicht schockierte ihn das, was sie in dieser Höhle vorgefunden hatten, mehr als sie, möglicherweise war das sogar nachvollziehbar. Dennoch konnte er doch nicht ausgerechnet jetzt in Schockstarre verfallen, oder was auch immer er gerade tat. Er konnte sie doch nicht einfach im Stich lassen. Nicht in einem solchen Moment. Was sollte sie tun? Vielleicht schwebten sie hier sogar in Gefahr. Wer konnte das schon sagen? Sie ganz sicher nicht. Sie war nur ein einfacher Mensch mit ein paar lächerlichen magischen Fähigkeiten. Und sie wusste zu wenig. Viel zu wenig.
    »Reiß dich zusammen!«, zischte sie. Sie packten den Engel fester an den Schultern, wollte ihn schütteln. Flügelschlag schreckte sie auf. Rechts von ihnen war ein Teil der Höhle durch einen Knick in der Wand vor ihren Blicken verborgen, und von dort erschien eine Gestalt, segelte dicht unter der Decke dahin. Ein Engel, ganz eindeutig, doch etwas an ihm wirkte seltsam. Amanda brauchte einen Augenblick, um zu erkennen, woher dieser Eindruck kam. Statt einem wölbten sich drei Paar Flügel in schimmernden Bögen aus dem Rücken des Engels, bewegten sich in einem komplizierten Rhythmus auf und ab. Neben ihr kam Jul wieder auf die Füße. »Seraph.«
    Nur ein Wort, doch Amanda erinnerte sich, wo sie diese Bezeichnung zuletzt gehört hatte. In Juls Geschichte. Die Engel, die vor zweihundert Jahren verschwunden waren. Sie hatten also alle Vermissten auf einen Schlag wiedergefunden. Was für ein verdammt praktischer Zufall. Wenn sie nur an einen Zufall glauben könnte …
    Würde es den sechsflügeligen Engel freuen, dass man ihn nach all den Jahren wiedergefunden hatte? Irgendwie bezweifelte sie, dass er derjenige war, der sie hier heruntergelotst hatte. Und es war nur eine Frage der Zeit, bis er sie entdecken würde.
    Jul machte einen Schritt nach vorne. Doch Amanda packte ihn am Arm, zog ihn zurück in den Schatten des Durchgangs, durch den sie gekommen waren. Mit einem Ruck riss er sich los, drehte sich zu ihr um, die Stirn verärgert gerunzelt. Schnell legte sie ihm einen Finger auf die Lippen und begegnete

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