Aeternum
kleinen Geschichten belauscht.« Das Lächeln des dunklen Engels wurde dünn, bitter. »Lasst mich nun meine erzählen.«
Er hatte gelauscht? Eigentlich hätte sie das stören müssen, doch es wirbelten zu viele andere Dinge durch Amandas Kopf. Sie ließ sich zu Boden sinken, setzte den Rucksack ab, stellte die Taschenlampe neben sich. Was auch immer nun kam, sie wollte es nicht im Stehen hören. Sie hatte das Gefühl, dass ihr einiges davon nicht gefallen würde.
»Wir sind gespannt.« Ihre Worte aus Juls Mund. Aber gespannt war deutlich untertrieben.
19
D er Blick des Morgensterns ruhte auf Amanda, seine Züge von einer Schönheit, die eines ehemaligen Engels würdig war. Doch Jul entdeckte Schatten darin, nicht nur die der Erschöpfung. Und dann waren da diese Augen, gelb, und selbst in ruhigen Momenten schwelte darin kaum verhohlener Zorn.
Für einen Moment wirkte der Gefallene, als wolle er erneut die Hand nach Amanda ausstrecken. Jul machte einen halben Schritt zwischen die beiden, und der Morgenstern schenkte ihm ein spöttisches Lächeln. Vielleicht war es dumm, eine Dämonendienerin und Hexe beschützen zu wollen, doch langsam beschlich Jul das Gefühl, dass sie die einzige Verbündete war, die er hatte.
Sie hatte recht behalten mit ihren Bedenken. Irgendetwas war faul. Für einen Moment wünschte sich Jul, der Herr möge erwachen und ihm sagen, was er tun sollte. Aber war das nicht genau der Grund, aus dem er überhaupt erst vom Baum der Erkenntnis gegessen hatte? Damit er sich selbst ein Urteil bilden, richtige Entscheidungen treffen konnte? Vielleicht war es an der Zeit, endlich ernsthaft damit anzufangen. Auch wenn die Basis für sein Urteil zu einem Großteil jene Geschichte bilden würde, die der Herr der Lügen persönlich im Begriff war zu erzählen.
»Ich werde versuchen, mich kurzzufassen.« Der Blick gelber Augen wanderte von Amanda zu Jul. »Es begann alles damit, dass Jehovah einen Narren an den Menschen gefressen hatte. Wie so viele Götter vor ihm …«
Es gelang Jul, nicht zusammenzuzucken, als der heilige Name des Herrn von dessen Erzfeind so offen ausgesprochen wurde. Er schwieg, obwohl ihm ein Widerspruch auf der Zunge lag. Was sollte dieses ständige Gerede von anderen Göttern?
»Er brachte zwei der Menschen in den Garten Eden.«
Nun konnte Jul sich nicht mehr zurückhalten. »Er hat sie erschaffen.«
Der Morgenstern schnaubte abfällig. »Ach, hast du ihm dabei zugesehen? Ich nicht.«
Jul presste die Lippen aufeinander. Nein, hatte er nicht, aber das hieß noch lange nicht, dass es nicht stimmte. Er zwang sich, dem Blick der gelben Augen weiter standzuhalten. So leicht würde er sich nicht von einem Dämon aus dem Konzept bringen lassen.
Die Miene des Morgensterns wurde weicher. »Das Einzige, was die Götter zur Entwicklung der Menschen beigetragen haben, sind die verschiedenen Gaben. Feuer, Erkenntnis, Wissen über Ackerbau und dergleichen mehr. Die Menschen selbst existierten vor ihnen. Doch wenn du mich nicht ständig unterbrechen würdest, könnte ich das der Reihe nach erzählen. Dann wird es sogar verständlich.«
Letzteres bezweifelte Jul, doch er machte eine auffordernde Geste und verschränkte die Arme vor der Brust.
»Nun gut … Jehovah brachte die Menschen in den Garten Eden, behauptete, er habe sie erschaffen, und verhätschelte sie bis zum Erbrechen. Von früh bis spät mussten wir sie preisen. Ausgerechnet diese verlausten Abkömmlinge nackter Affen!«
»Na, danke.« Die gemurmelten Worte kamen von Amanda, und ein belustigtes Schmunzeln huschte über die Züge des Morgensterns. Unbeirrt fuhr er fort. »Also beschloss ich zu gehen.«
Jul stieß ein trockenes Lachen aus. »So kann man es auch nennen, wenn man aus Eifersucht einen Krieg anfängt und verliert.«
»Eifersucht hatte damit nicht das Geringste …« Der gefallene Engel unterbrach sich. Er spähte dorthin, wo der Seraph verschwunden war. Dann legte er einen Finger an die Lippen. Die Dunkelheit ringsum wurde dichter.
Eine Gestalt mit drei leuchtenden Flügelpaaren zog über sie hinweg. Jul duckte sich tiefer in den Schatten der dunklen Schwingen. Was würde geschehen, wenn ein Seraph sie entdeckte? Ihn mochten sie einfach wieder wegschicken, darauf vertrauen, dass er ihre Befehle befolgte. Doch Amanda … Eine Dämonendienerin, die wusste, wo der Herr schlafend und verwundbar lag, würde diese Höhle nicht lebend verlassen.
Er betrachtete sie, die düstere Miene, mit der sie zu dem Seraph
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