Aeternum
sich, spürte, woraus er bestand. Ein Gedanke, und sie zwang ihre Magie zwischen die einzelnen Teile, trieb sie auseinander.
Licht stob in alle Richtungen, glühende Tropfen klatschten ringsum auf den Boden wie Blut. Der Schein, der den Seraph umgeben hatte, erlosch. Seine Flügel flackerten wie die sterbende Flamme einer Kerze. Aber ihr Schwung trug die Gestalt weiter auf Amanda zu. Ihre Form war nur noch annähernd menschlich, ähnelte mehr einem gleißenden Klumpen. Instinktiv stieß Amanda den Seraph Kraft ihrer Gedanken von sich, und mit einem dumpfen Klatschen schlug er in einiger Entfernung auf dem Boden auf. Flüssiges Licht bildete eine Lache um seine glühende Gestalt, wie Blut. Noch einmal flackerten die Flügel auf, doch sie standen in einem seltsamen Winkel ab, als hätte die Magie sie gebrochen. Dann erloschen sie.
Übelkeit stieg in Amanda hoch, stark genug, um selbst das Gefühl von Macht zu untergraben, das von ihr Besitz ergriffen hatte. Sie hatte einen Engel getötet! Dieses mächtige, unirdische Wesen verging, und es war ihre Schuld.
Aber nein. Die geschundene Gestalt regte sich leicht. Erleichterung und Unglauben rangen in Amanda miteinander. Sie hatte versucht, dasselbe zu tun wie mit dem Weinglas. Hatte versucht, den Seraph in tausend Stücke zerspringen zu lassen. Doch irgendwie hatte er dem Angriff zumindest zum Teil widerstanden. Was brauchte es dann, um seinesgleichen umzubringen?
Das Geräusch schlagender Schwingen ließ sie aufsehen. Der zweite Seraph näherte sich schnell, hinter ihm ein dritter. Am Boden brüllte Luzifer auf, und seine Schatten wogten wie Wellen im Sturm. Die gesamte Höhle vibrierte.
Wieder fühlte sich Amanda am Arm gepackt. Sie stolperte neben Jul her, duckte sich durch das kreisrunde Loch in der Wand. Wasser platschte unter ihren Schritten, als sie durch den ersten Bunkerraum hasteten. Das Licht einer Taschenlampe flammte auf, Jul musste daran gedacht haben, sie mitzunehmen. Nur ihr Rucksack lag wohl noch immer inmitten des Chaos aus Licht und Schatten.
»Jetzt verstehe ich, wieso du sein Blut wolltest«, stieß er im Laufen hervor. Amanda antwortete nicht, konzentrierte sich stattdessen darauf, so schnell zu rennen, wie sie konnte. Für den Augenblick spürte sie keine Erschöpfung, und Jul schien ohne Probleme mit ihrem Tempo mithalten zu können.
Die Erde bebte immer stärker unter ihren Füßen. Doch wo Amanda normalerweise das Gleichgewicht verloren hätte, rannte sie nun einfach weiter, gestützt von der Macht, die durch ihre Adern kreiste. Jetzt zog sie Jul mit sich, nicht umgekehrt.
Hinter ihnen rumpelte es. Irgendwo kam Gestein herunter. Brach gerade der Durchgang zur Höhle ein? Staub rieselte auf sie herab, doch die Decke hielt. Noch.
Aber selbst wenn sie einstürzte, was konnte es ihr schon anhaben? Sie hatte das Blut des Höllenfürsten getrunken. Seine Hitze glühte bis in ihre Fingerspitzen. Plötzlich wusste sie nicht einmal mehr, warum sie überhaupt weglief. Ja, sie hatte den Seraph nicht beim ersten Versuch getötet, aber sie hatte die Kraft für viele mehr. Sie wurde langsamer.
Amanda schüttelte den Kopf, versuchte ihre Gedanken zu klären, die Stimme abzuschütteln, die ihr zuflüsterte, sie könne es mit der ganzen Welt aufnehmen. Diese Kraft war begrenzt! Sie musste hier raus, bevor sie nachließ.
Doch in welche Richtung sollte sie gehen? Unschlüssig sah sie sich um. Sollten sie zur Rampe zurück, oder gab es einen anderen Weg zu dem Ausgang, von dem Luzifer gesprochen hatte? Da, eine Bewegung vor ihnen in der Dunkelheit. Einer der rattenähnlichen Dämonen huschte in einen nahen Durchgang.
Ohne sich darüber verständigen zu müssen, folgten sie ihm. Sie rannten Fluchten langgestreckter Räume entlang, oder waren es Gänge? Der Bunker schien kein Ende zu nehmen. Wie groß war dieses Ding?
Schließlich verebbte das Beben, und sie rannten noch immer. Kahle Betonwände huschten an ihnen vorbei. Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichten sie eine Treppe. Amanda wurde nicht langsamer, nahm zwei Stufen auf einmal.
Wenig später standen sie vor einer Metalltür. Ein Gedanke, und sie flog aus den Angeln. Doch mit einem Mal zitterten Amanda die Knie. Wie von fern spürte sie das Brennen ihrer Muskeln. Aus dem Glückstaumel der Macht stürzte sie in die Realität zurück. Wie hatte sie so dumm sein können, sich für unbesiegbar zu halten? Sie wusste doch, dass die Uhr tickte. Und nun rann ihr die Magie durch die Finger.
Das Bild des
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