Aeternum
Fingernägel wuchsen, wurden zu scharfen Klauen. Mit einer entschlossenen Bewegung zog er einen Schnitt über seinen Hals. Sofort quoll Blut daraus hervor. »Schnell.«
Amanda schüttelte sich. Nun wünschte sie sich, Balthasars Weinglas zur Hand zu haben, Klischee oder nicht. Sie trat einen Schritt vor, und der gefallene Engel legte den Kopf zur Seite, eine Geste, die ihr aus unzähligen Vampirfilmen vertraut vorkam. Erneut schauderte sie, zögerte aber nicht. Stattdessen hielt sie sich Roman vor Augen. Ihr Bruder, wie er in seinem goldenen Käfig saß, mutlos und einsam.
Das Blut floss in einem dünnen Rinnsal Luzifers Brust hinab, doch längst nicht so schnell oder so viel, wie es bei einem Menschen der Fall gewesen wäre, hätte man ihn an derselben Stelle verletzt. Es lockte mit der Möglichkeit, zumindest für eine Weile mehr zu sein als ein Spielball höherer Mächte.
Vorsichtig legte sie eine Hand auf Luzifers Schulter und hätte sie beinahe sofort wieder zurückgezogen, so heiß glühte die Haut. Sie lehnte sich vor, und ein verbrannter Geruch wehte ihr entgegen. Luzifers Hände krallten sich in den Kragen ihrer Bluse, als wolle er jederzeit bereit sein, sie zurückzustoßen. Dann legte sie die Lippen auf die Wunde.
Sein Blut rann so scharf ihre Kehle hinab, dass Amanda nach dem ersten Schluck den Kopf zur Seite drehte, um zu husten. Neben ihrem Ohr hört sie Luzifer leise lachen. »Ich hoffe, dein Meister hat dir gesagt, dass es süchtig macht.«
Sie nickte nur und presste den Mund wieder auf die Wunde an seinem Hals. Schnell breitete sich das vertraute Brennen in ihrem Magen aus, doch sie zwang sich, nicht noch einmal abzusetzen.
Schließlich stieß Luzifer sie tatsächlich von sich. Amanda stolperte einen Schritt zurück, wischte sich den Mund mit dem Ärmel ab. Sie begegnete Juls Blick und zuckte zusammen, als sie Abscheu in seiner Miene las. Mit zusammengebissenen Zähnen starrte sie zu Boden. Was wusste er schon? Das Brennen breitete sich langsam in ihrem Körper aus. Schweiß trat ihr auf die Stirn.
»Durch die Festung kommt ihr wieder nach oben. Los!« Luzifers Wunde hatte sich bereits wieder geschlossen. Er krümmte sich vor Schmerz, schlug mit seinen Schattenschwingen. Dunkelheit ballte sich um Amanda, schickte ein Kribbeln über ihre Haut. Doch sie war sich nicht sicher, ob die Schatten genügten, um sie zu verbergen.
Jul packte sie am Arm, zog sie mit sich, zurück zu dem Loch in der Wand, durch das sie gekommen waren. Flügelschlag erklang hinter ihnen. War das Luzifer oder …? Sie warf einen Blick über die Schultern. Ein Seraph! Der Engel stieß einen hellen Schrei aus, ein Ruf, dessen Bedeutung eindeutig war. Er hatte sie entdeckt! Er legte seine drei Schwingenpaare an und stieß herab, auf sie zu. Blau loderte etwas auf, das nur ein Flammenschwert sein konnte.
Das Brennen hatte inzwischen Amandas gesamten Körper erfasst. Sie konzentrierte sich auf die Macht in ihrem Inneren, doch sie entglitt ihr, wollte sich noch nicht greifen lassen. Hilflos stolperte sie hinter Jul her. Er hob im Rennen seine Waffe. Ein Schuss hallte durch die Höhle, aber entweder ging er daneben, oder irgendetwas lenkte ihn ab. Der Seraph war nun so nah, dass sie die einzelnen Falten der flatternden, weißen Stoffbahn erkennen konnte, die ihm als Gewand diente. Und hinter ihm tauchten weitere aus der Tiefe der Höhle auf.
Endlich erreichte das Brennen von Luzifers Blut die Quelle von Amandas Magie.
Es war, als wäre ein Damm gebrochen, ungleich stärker als beim letzten Mal. Macht durchströmte sie, eine glühende Flut, die drohte, sie mit sich fortzureißen. Sie kämpfte um die Kontrolle, ließ sich von Jul mitziehen, ohne darauf zu achten, wohin sie ging. Feuer schien durch ihre Adern zu fließen, ihre Muskeln schmerzten. Doch der reißende Strom ließ sich lenken, gehorchte ihrem Willen! Amanda hörte ihr eigenes Lachen von den Wänden der Höhle widerhallen. Magie pulsierte durch ihren gesamten Körper, und mit ihr kam die Gewissheit, es mit allem und jedem aufnehmen zu können.
Sie blieb stehen und sah dem Seraph entgegen. Kurz trafen sich ihre Blicke, seiner voll ruhiger Entschlossenheit, in ihrem brannte wahrscheinlich die Magie. Sie griff nach der Macht in ihrem Inneren, und im selben Augenblick umhüllte ein helles Licht den anfliegenden Engel. Kurz zögerte sie. Sollte sie versuchen, ihn zu töten, oder …?
»Amanda!« Juls Stimme riss sie aus ihrer Erstarrung.
Sie fühlte den Körper vor
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