Aeternus - Eisiger Kuss: Roman (German Edition)
wieder nach oben zu gelangen.
Etwas drückte sich gegen ihr Bein. Sie senkte den Blick und bemerkte Cerberus, der sie mit seinen großen, blassblauen Augen eingehend ansah. Er saß auf den Hinterbeinen, wedelte mit dem Schwanz, und die Zunge hing ihm seitlich aus der Schnauze.
»Wo kommst du denn her?«, fragte sie und bemerkte dann die Hundeklappe in der Tür am Ende der Treppe.
»Willst du einen Abendspaziergang machen?« Sie ging in die Hocke und nahm seinen Kopf zwischen die Hände. »Ich muss meinen Freund besuchen. Du bleibst hier.«
Antoinette holte ein Paar Slipper aus der Tasche ihrer Jacke und schlüpfte hinein; dann zog sie den Reißverschluss der Jacke hoch. Sie rammte die Fäuste in die Taschen und machte einen Schritt auf die Straße zu. Der Hund folgte ihr.
»Bleib hier, Cerberus!«, befahl sie ihm.
Er setzte sich wieder, hielt den Kopf schräg und stieß ein kurzes Jaulen aus. Sie spürte, wie der Hund sie aufdem Weg durch die schmale Gasse zwischen Christians Haus und dem Nachbargebäude beobachtete.
Bevor sie auf die große Straße trat, warf sie einen Blick zurück und sah, dass sich der Hund nicht bewegt hatte. Er wedelte fröhlich mit dem Schwanz. Sie schüttelte den Kopf, schaute nach rechts und links, ging ein paar Blocks weiter und hielt ein Taxi an.
◀ ▶
Als Antoinette beim St.-Vincent-Krankenhaus in Manhattan ankam, erfuhr sie an der Rezeption, auf welcher Etage Lucian lag. Allerdings erklärte man ihr, die Besuchszeiten seien schon vorbei, und sie könne ihn erst am nächsten Tag sehen.
Mist.
Etwas so Unbedeutendes wie Besuchszeiten würden sie nicht aufhalten; dafür hatte sie schon zu viele Mühen auf sich genommen. Sie nahm einen weißen Kittel aus einem leeren Aufenthaltsraum für Ärzte und schlüpfte ins Treppenhaus.
Als sie die Etage erreichte, auf der Lucian lag, schlich sie in den verlassenen Korridor. Einige Schwestern saßen im Stationszimmer und unterhielten sich leise miteinander.
Hier roch es nicht wie in einem gewöhnlichen Krankenhaus – die chemische Sterilität überdeckte den Gestank von Krankheit und Tod. Antoinette hatte einen Plan, wie sie eine Schwester ablenken konnte, aber bei zweien würde er nicht funktionieren.
Wie durch göttliches Eingreifen stand die eine Schwester auf. »Ich könnte einen Kaffee gebrauchen. Willst du auch einen?«
»O ja, bitte«, sagte die andere. »Für einen Koffeinschub würde ich sogar mein Erstgeborenes hergeben.«
»Meine Liebe, ich habe dein Erstgeborenes gesehen,und ich würde diese Höllenkatze nicht einmal geschenkt haben wollen«, versetzte die erste Schwester.
»Es war den Versuch wert.«
Beide brachen in Lachen aus.
Das war ihre Chance. Als die erste Schwester verschwunden war, schlich Antoinette um die Ecke in eines der Zimmer und drückte die Notklingel neben einem schlafenden Patienten; dann lief sie in den angrenzenden Raum. Sobald die zweite Krankenschwester auf den Alarm hin nach draußen ging, huschte Antoinette aus dem Raum und suchte in den Unterlagen nach Lucians Zimmernummer. Sie fand sie rasch.
Vor seinem Zimmer stand ein leerer Stuhl, auf dem eigentlich ein Wächter hätte sitzen sollen. Antoinette schluckte ihre Wut herunter und spähte durch das kleine Glasfenster. Eine blasse Gestalt lag in dem einzigen Bett im Raum; der Kopf war bandagiert. Sie schlüpfte ins Zimmer, als die zweite Schwester zum Stationszimmer zurückkehrte und etwas von Budgetkürzungen und fehlerhafter Elektrik murmelte.
Ein kleines, glimmendes Licht an der Wand über Lucians Kopf ließ alles im Halbschatten; seine Augen lagen tief eingesunken in den Höhlen. Sie trat näher heran. Er atmete schwer und gleichmäßig, und über seiner nackten Brust lag ein Verband.
Da der Wächter nicht da war, hatte sie Angst, Lucian wieder allein zu lassen. Sie glättete die Laken neben ihm, setzte sich auf den Besucherstuhl in der Ecke und beobachtete ihn eine Weile. Hin und wieder kam eine der Schwestern und schrieb Daten auf das Krankenblatt, aber jedes Mal gelang es Antoinette, sich rechtzeitig hinter einem Wandschirm zu verstecken. Lucian schlief weiter; er schien starke Medikamente bekommen zu haben.
Der Besucherstuhl hatte eine unebene Sitzfläche undstach ihr in die Hüfte. Sie bewegte sich hin und her, um es sich so bequem wie möglich zu machen. Aus dem weißen Arztkittel machte sie sich ein Kissen, steckte den einen Fuß unter den Hintern und verschränkte die Arme vor der Brust. Lucians tiefes Atmen machte sie müde;
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