Aeternus - Eisiger Kuss: Roman (German Edition)
war überflutet. Verstopfte Abflüsse verhinderten, dass das Wasser aus den Regenrinnen und den Traufen in den Boden sickern konnte. Oberon fluchte, denn dadurch wurde auch der Geruch der Fährte weggewaschen.
Dylan ging in die Hocke und hob etwas auf – eine zarte Goldkette, zu kurz für ein Halsband.
»Ich würde sagen, wir sind auf der richtigen Fährte«, meinte er. »Dieses Armband sieht ziemlich wertvoll aus. Das ist nichts, was hier lange unbemerkt herumliegen würde.«
Sie gingen weiter und überprüften alle abzweigenden Türen nach Anzeichen für ein gewaltsames Eindringen. Ein Schuh lag halb verborgen unter einem Müllcontainer am anderen Ende der Gasse. Durch einen wunderbaren Glücksfall war er auf dem einzigen trockenen Fleck gelandet; er war geschützt vor Regen und lag nicht in einer der vielen Pfützen. Oberon hielt ihn sich dicht an die Nase.
Ein leiser Schritt tappte in eine Wasserlache, und er wirbelte herum. Antoinette folgte ihnen mit einer Neun-Millimeter-Pistole.
»Sie sollten nicht hier sein«, knurrte er.
»Sie auch nicht.« Sie richtete sich auf. »Aber ich willdiesen Kerl genauso sehr haben wie Sie. Wenn Sie mich aufhalten wollen, müssen Sie mich schon fesseln.«
»Führen Sie mich nicht in Versuchung«, brummte Oberon.
»Wir haben für so etwas keine Zeit, dann verlieren wir seine Spur«, sagte Dylan. »Soll sie doch mitkommen. Außerdem ist sie keine Zivilistin, sondern eine zugelassene Venatorin. Hallo, ich bin Dylan Jordan, sein Partner.« Er streckte ihr die Hand entgegen.
Antoinette lächelte und ergriff sie. »Ich weiß, wer Sie sind – der Felier, nicht wahr?«
Verdammtes Menschenkind. Und warum war Dylan so höflich zu ihr?
»Ah!« Oberon schlug mit der Faust gegen die Wand. Der Schmerz schoss durch seinen Arm und nahm ihm die Wut. »Mir gefällt der Gedanke, sie hier anzuketten, zwar besser, aber du hast recht. Dafür haben wir keine Zeit.« Oberon bewegte die Finger, während die Knochen wieder an ihre alten Stellen rutschten und innerhalb weniger Sekunden verheilten. »Der Geruch der Frau an diesem Schuh ist frisch.«
Er bewegte die Muskeln in seinem Gesicht, verlängerte Kiefer und Nase, unternahm aber keine vollständige Verwandlung. Im Augenblick brauchte er nur seinen besonderen Geruchssinn.
Der Menschenduft des Opfers klebte am Leder und enthielt Spuren eines Blumenparfums, das vermutlich aus einer Feuchtigkeitscreme oder einer Handlotion stammte. Auch dies schien teuer und in diesem Stadtteil völlig fehl am Platz zu sein. Der Schuh lag noch nicht so lange in der Gasse, dass sein Duft von anderen Gerüchen überlagert worden wäre, also gehörte er sehr wahrscheinlich dem Opfer.
Das war keine verdammte Fanghure. Dieses Opfer hatteGeld gehabt. Ihr Duft blieb in seinen Nüstern zurück, bis sein Hirn das Muster zusammengefügt hatte und er ihre Spur »sehen« konnte: Blitze aus Rot-Orange dort, wo ihre Haut an der Wand entlanggeschrammt war, und eine Linie, wo ihr Fuß über den Zementboden gescheuert hatte. Ein Haar von ihr klebte an einem Ziegel; es war lang und hell wie bei den anderen Frauen.
Der Regen trommelte um ihn herum auf den Boden. Antoinette schob die Ärmel ihrer übergroßen Jacke hoch und enthüllte eine Gänsehaut. Deutlich sichtbare weiße Atemwölkchen drangen zwischen ihren bläulichen Lippen hervor. Sie würde sich den Tod holen, noch bevor sie den Mörder geschnappt hatten.
»Sie sollten zurückgehen«, sagte Dylan zu Antoinette. »Sie haben ja nicht einmal Schuhe an. Sie werden sich eine Lungenentzündung holen.«
Die junge Frau schüttelte heftig den Kopf, und ihre Zähne klapperten, als sie sich die nassen Haare aus den Augen schob. »Es geht mir gut. Wir sollten weitermachen. Ich habe das Gefühl, dass wir ganz nah dran sind.«
Stures verdammtes Menschenkind.
Sie verließen die Gasse und traten vor ein verlassenes mehrgeschossiges Gebäude, von dessen Vordertüren die eine halb offen stand.
Oberon legte zwei Finger vor die Augen und deutete auf diese Tür. Dann warf er Dylan einen raschen Blick zu, schlug sich gegen die Brust und zeigte auf Dylan und Antoinette. Sie wirkte nicht glücklich, aber beide nickten. Oberon würde als Erster hineingehen.
Er holte seine Pistole hervor, und Dylan zog seine aus dem Halfter. Gemeinsam überquerten sie die Straße und bezogen zu beiden Seiten der Tür Position.
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Antoinette hielt ihre Pistole fest in der Hand. Die Erregung der Jagd pulste durch ihre Adern. Sie sah Oberon an,
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