Aetherhertz
Schluck. Der Alkohol brannte in ihrem Hals und sie hustete.
„ Was war das?“, keuchte sie.
Paul probierte: “Ich befürchte, es ist Slibowitz.“
„ Warum befürchtest du das?“
„ Slibowitz macht einen sentimental. Man fängt an traurige Lieder zu singen und möchte mit Bären tanzen.“
Annabelle lachte. Sie konnte nicht anders, und es klang ein wenig hysterisch, aber sie hatte überhaupt kein Schutzschild mehr, und dieser trockene Witz traf sie unvorbereitet.
Paul grinste und kippte sein Glas in einem Zug in sich hinein. Auch er keuchte kurz auf – das waren ein paar Prozente mehr, als er gewohnt war. Trotzdem er stand auf und holte die Flasche.
„ So, nun noch mal: Was hätte dir auch passieren können?“
Annabelle zog die Beine hoch und legte ihre Arme darum.
„ Ich hatte eine Wahl, da in dem Wasser, bei der Otterfrau. Sie sagte mir, ich hätte diesen schlechten Æther in mir. Und ich wusste, ich hätte ihn behalten können, ich hätte ihn in mich rein lassen können. Er hatte die ganze Zeit an mir genagt, in mir pulsiert, aber ich ließ ihn nicht.
Weißt du, als ich in dieser Wanne lag, und er mir in alle Poren drang, in meinen Mund, meine Ohren, und, naja, du weißt schon wo noch ... Da war ich ausgeliefert. Ich konnte mich nicht wehren. Aber ich habe es irgendwie geschafft, dass er zwar in mir war, aber mich nicht völlig durchdringen konnte. Und dann habe ich ihn als Kugel ausgespuckt.“
„ Die liegt jetzt im Schlafzimmer auf dem Tisch.“
Annabelle nickte. „Ich glaube, wenn ich es nicht ausgespuckt hätte, sondern zugelassen hätte, dass es mich durchdringt, dann wäre ich so etwas geworden, wie dieses Wesen dort draußen.“
„ Ein Verdorbener.“
Das Wort traf sie wie eine Kugel. Sie wusste, dass Paul sie ansah. Sie konnte ihm nicht in die Augen sehen, nickte aber. Der Slibowitz erreichte ihr Gehirn. Sie spürte die Wichtigkeit dieser Wahl nachträglich wie ein Band um ihre Brust. Es engte sie ein und ließ sie kaum atmen. Sie war sich zu dem Zeitpunkt damals dessen nicht bewusst gewesen, aber nun spürte sie, dass sie kurz davor gewesen war, es zuzulassen. Sich selbst aufzugeben: Der Æther hatte ihr Vergessen versprochen, sie hatte eine wilde, ungezähmte Kraft gespürt, aber auch Brutalität und Grenzenlosigkeit.
„ Aber du bist es nicht geworden. Stattdessen wirst du meine Frau.“ Paul sagte das ganz ruhig und sicher.
Annabelle atmete tief ein, und das Band um ihre Brust zersprang. Diese Worte bedeuteten ihr so viel: Auch wenn sie vor Kurzem noch wild entschlossen gewesen war, nicht zu heiraten, so hieß dieses Bekenntnis von Paul doch letztlich, dass er sie wollte, obwohl sie ein Monster hätte werden können.
Sie sah zu ihm und begegnete seinen braunen Augen. Wie Samt umfing dieser Blick sie, lud sie ein, hieß sie willkommen. Sie entfaltete sich von ihrem Sessel und setzte sich behutsam auf seinen Schoß.
Er hielt sie ganz lange einfach nur im Arm, während er sich die Flasche Slibowitz zu Gemüte führte. Seine Schulter schmerzte wie ein Höllenfeuer, aber der Schnaps brannte dagegen. Sie sprachen nicht mehr, beobachteten nur das langsam sterbende Feuer. Als er genug hatte, um trotz der Schmerzen schlafen zu können, steuerte er sie ins Bett.
Als er am nächsten Morgen erwachte, fühlte er sich merkwürdig. Ein Teil seines Körpers erinnerte sich an den Kampf, schmerzte noch, hatte blaue Flecke und Prellungen. Aber an seinem Oberarm spürte er nur Wärme, als hätte jemand eine Wärmflasche dort platziert.
Er bewegte sie vorsichtig und spürte keinen Schmerz. Dann öffnete er die Augen und schaute hin: kein Verband? Er sah noch Blutreste, und als er mit der Hand die ehemalige Wunde berührte, spürte er Verdickungen wie Narben.
Er sah sich um: Annabelle war schon aufgestanden. Langsam brachte er sich auch in die Vertikale – ohhh, keine gute Idee. Sein Kopf berichtete ihm von der Flasche serbischen Feuerwassers, die er zur Schmerzbekämpfung getrunken hatte. Er atmete tief durch und beschloss es zu ignorieren. Was er nämlich nicht ignorieren konnte, war die Flüssigkeit, die nun ihren Weg aus seinem Körper wieder heraus verlangte.
Nachdem er der Natur ihren Lauf gelassen hatte, zog er sich etwas über und suchte Annabelle. Er fand sie bei Sissi. Der Hund lag in seinem Körbchen und hatte auch keine Verbände mehr. Als er den Raum betrat, hob die Hündin den Kopf und sah ihn an. Dann schaute sie zu Annabelle, die in ihrem Sessel saß und schlief.
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