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Aetherhertz

Aetherhertz

Titel: Aetherhertz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anja Bagus
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Ihre grüne Hand lag ohne Handschuh auf der Decke, die sie sich über die Beine gelegt hatte. In der anderen Hand hielt sie die Geode. Ihre Finger schlossen sich nur leicht darum, und die blauen Kristalle blitzten auf, als Paul die Schlagläden öffnete.
    Annabelle blinzelte im Sonnenlicht. Es schockierte Paul, wie sehr er diese Frau liebte, genau so, wie sie jetzt da saß, mit offenen zerzausten Haaren und diesem freudigen Ausdruck im Gesicht, den Tag willkommen heißend und begrüßend. Er konnte nicht anders: Er zog sie hoch und küsste sie, auf diesen Mund, und diese Nase, und diesen Hals, und dann war da noch der Duft ihrer Haare ... Glück.
    „ Guten Morgen, Glöckchen“, murmelte er in ihr Ohr.
    „ Glöckchen?“, kicherte Annabelle etwas atemlos. Sie war noch nicht richtig wach und fühlte sich von seiner Leidenschaft etwas überrollt.
    „ Du riechst nach Maiglöckchen“, sagte Paul.
    „ Stimmt! Und du riechst nach Pflaumenschnaps.“
    Paul sah sie entsetzt an.
    „ Wie geht es dir?“, fragte sie, redete aber weiter ohne seine Antwort abzuwarten. „Ich bin aufgewacht und habe mich erinnert, dass ich ja deinen Knöchel schmerzfrei massieren konnte. Ich musste es einfach versuchen. Du hast so fest geschlafen, du sahst echt süß aus. Du hast auch kaum geschnarcht. Mein Papa hat geschnarcht wie ein Bär, schrecklich.
    Naja, ich habe den Verband abgemacht und es einfach probiert. Und, hör zu, das Tollste: Im Dunkeln hat die Geode angefangen zu leuchten, und ich habe sie in die andere Hand genommen, und dann war es wie ein Strom. Und dann bin ich zu Sissi, und dann zu Oberon, aber danach war ich echt fertig, und bin einfach hier eingeschlafen. Ist das nicht fantastisch? Ich kann heilen! Das ist unglaublich!“
    Sie hatte sich von ihm gelöst und war zu ihrem Hund gelaufen, um ihm zu beweisen, dass die Wunden des Tieres verschwunden waren.
    „ Kannst du auch Kopfschmerzen heilen?“, fragte er etwas gequält.
    „ Na, du hast fast die ganze Flasche Schnaps getrunken!“ warf sie ihm vor.
    „ Ich war auf tagelange Schmerzen eingestellt! Du hättest diese Idee auch früher haben können.“
    „ Wir frühstücken, ich habe einen Bärenhunger. Dann geht es dir bestimmt besser.“
    So war es auch.
     
    Annabelle summte. Sie fühlte sich lebendig, wach, frisch und glücklich. Sie schürte das Feuer im Kachelofen und freute sich über die sanfte Wärme, die er ausstrahlte. Paul hatte sich noch einmal hingelegt um seinen Kater loszuwerden, aber sie war nicht müde.
    Sie las den Brief ihres Vaters noch einmal. Die Vorstellung, dass er diesen Brief mehrmals geschrieben hatte, über die Jahre hinweg, machte sie ein wenig sentimental. Ihr Vater hatte viel mit ihr geredet, über alles Mögliche. Aber es hatte eben auch einiges gegeben, worüber sie nicht gesprochen hatten, nicht sprechen konnten.
    Sie blickte nach oben zu einem Portrait ihrer Mutter, das an der Wand hinter seinem Schreibtisch hing. Wie immer suchte sie zunächst nach Ähnlichkeiten mit ihrem Spiegelbild. Früher hatte sie ihre Mutter wunderschön gefunden, und sich selbst eher schlicht. Heute war ihr klar, dass sie ihrer Mutter sehr ähnlich sah: Die gleiche Nase mit ein paar Sommersprossen (der Maler hatte diese selbstverständlich nicht abgebildet, aber ihr Vater hatte ihr davon erzählt), die gleichen grünen Augen, eine hohe Stirn und ein entschlossenes Kinn. Dennoch schien ihre Mutter uneinholbar vollendet zu sein, während Annabelle sich noch unfertig und naiv fühlte.
    Im Gegensatz zu ihrem Vater war ihre Mutter keine Präsenz in ihrem Kopf. Wenn überhaupt eine weibliche Stimme in ihrem Kopf sprach, dann war das Frau Barbara. Annabelle hätte jetzt gerne mit jemandem gesprochen, von ihren Entdeckungen erzählt und das wundervolle Geheimnis geteilt. Sie glaubte fast platzen zu müssen über die Entdeckung, was den Zauber zwischen Mann und Frau ausmachte. Aber bei dem Gedanken, es Frau Barbara zu beichten, wurde sie fast rot. Und ob sie es Johanna erzählen sollte …? Schon wurde es wieder schwierig. Es gab so viele offene Fragen.
    Sie wollte auch über das Erlebnis im Adlerhorst sprechen. Sie war so wütend über das, was ihr angetan wurde, was dort mit vielen Verdorbenen geschah. Und dann die toten Frauen. Sie musste sich doch kümmern, hinter das Geheimnis der Substanz kommen. Eine Heilung für die Betroffenen finden. Vielleicht konnte sie mit ihrer Hand auch etwas tun?
    Sie musste etwas tun und stand auf. Draußen war es ungemütlich grau

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