Aetherhertz
Brosche verhalten würde, die er Annabelle angesteckt hatte. Wenn er so an sie dachte, fielen ihm noch viele Dinge ein, die er ihr schenken wollte. Aber es stand ihm nicht zu, und so war er froh, dass sie wenigstens heute ein Schmuckstück von ihm trug.
* * *
In einem wunderschön eingerichteten Nebenraum des Cafés fand die Zusammenkunft der Freifrau von Strebnitz statt. Der Kaffeeklatsch war in Baden-Baden sehr in Mode gekommen. Im Gegensatz zur Salonkultur der Berliner Damen genoss man es in Baden-Baden, bei solchen Treffen öffentlich bemerkt zu werden. Große Kaffeehäuser richteten extra Räume ein, wo sich die Damen aufhalten konnten. Man empfing auch Gäste – Männer und Frauen, die etwas vortrugen und es wurden neue Musikstücke oder Literatur geboten. Dabei ging es weniger um Bildung, eher um Unterhaltung, und für einige der jungen Damen um die Möglichkeit, von Männern gesehen zu werden.
Alle gaben sich möglichst exaltiert und versuchten, ihre jeweiligen Vorzüge zur Schau zu stellen. Der separate Raum des Cafés bot dafür einen prächtigen Rahmen. Man hatte die Wände kunstvoll bemalt und die Einrichtung war elegant und filigran mit viel geschwungenem Metall. Überall hingen Spiegel, damit die Damen sich bewundern und den Sitz ihrer teilweise sehr ausladenden Hüte kontrollieren konnten. Es mangelte nicht an Seidenblüten, wippenden Straußenfedern und raschelnden mehrlagigen Röcken. Tassen klapperten auf Unterteller, Gabeln klimperten über Porzellan. Auf den Tischen standen kunstvolle Etageren mit Kuchenstücken und Gebäck, große Pflanzen und Blumenarrangements teilten den Raum in kleinere Einheiten auf und illusionierten den Eindruck eines Gartens im Frühling.
Annabelle hatte mit ihrem Vater einige Salons in Berlin besucht, und wusste, dass das hier weit davon entfernt war. Aber dieses Wissen nutzte ihr nichts. Das hier war kein Ort, an dem man Kunst, Wissen und Forschung austauschte, kein Treffen von Künstlern und Gelehrten, die sich gegenseitig inspirieren wollten. Es war der Abklatsch davon, eine Vergnügung für gelangweilte Damen und Mädchen. Sie war aber nun mal hier und versuchte möglichst unauffällig zu sein. Johanna dagegen war in ihrem Element, und nachdem sie alle Anwesenden begrüßt hatte, nutzte sie die erste Gelegenheit, um die Neuigkeit loszuwerden.
„ Stellt euch vor“, sagte sie geheimnisvoll in die Runde. „Annabelle hat einen Verehrer.“
Die jungen Damen kicherten verschwörerisch. Arrangierte Heiraten waren gang und gäbe, aber jede träumte von der großen Liebe. Sie alle starben für Romantik und sahen sich selbst als Kameliendame schmachten.
„ Und er hat ihr diese wundervolle Brosche geschenkt!“
Ohhh und Ahhh!
„ Sie ist nur geliehen“, sagte Annabelle, die ganz rote Wangen bekommen hatte.
„ Und“, holte Johanna zum letzten Hieb aus, „er ist ein Blitzmann!“
OOOOHHH und AAHHHH!
Diese Sondereinheit der Schutzpolizei war gegründet worden, um in besonders gefährlichen Stadtteilen für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Blitzmänner waren einerseits gefürchtet, aber auch ins Heldenhafte erhöht. Die Damen übertrumpften sich mit Geschichten über deren Taten.
„ Hast du nicht furchtbare Angst um ihn?“, „Das ist doch schrecklich gefährlich!“, „Ich würde sterben vor Sorge!“, plapperten alle durcheinander.
Annabelle hieb peinlich berührt auf ihr Tortenstück ein. Die arme Schwarzwälder Kirsch Torte war nun Schwarzwälder Matsch geworden. Die Mädchen plapperten aufgeregt durcheinander: “Ich habe mal so einen Gewitterwagen gesehen! Man hört ihn schon von Weitem. Der stinkt und grollt tatsächlich wie ein Unwetter!“
“ Und hinten drin ist eine riesige Maschine, die die Blitze produziert. Aus Æther!“
“ Ja, aber den brauchen die ja auch! Das ist noch nett, sonst würden sie die Verdorbenen doch einfach erschießen. Meine Cousine hat mir mal erzählt, dass in Balg unten schon oft Einsätze gefahren werden mussten. Ich bin froh, dass wir da nicht wohnen. Aber Balg liegt ja auch nah am Rhein. Da laufen die Verdorbenen nachts durch die Straßen.“
“ Und da wohnen viele Arbeiter aus den Ætherfabriken.“
“ Die wollen ja schon wieder mehr Geld. Ich habe in der Zeitung gelesen, dass sie streiken wollen.“
“ Die streiken vor allem für bessere Arbeitsbedingungen, sagt mein Vater. Aber die sollen mal froh sein, das sie überhaupt Arbeit haben.“
“ Wenn die Berichtiger mit ihnen fertig sind, dann sind sie das
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