Aetherhertz
Die Flüssigkeit brannte wie Feuer. Was war das? Er hustete und holte tief Luft. Mit Tränen in den Augen entzifferte er das Etikett. Es war ein schottischer Whiskey – cask strength. Den trank man normalerweise nicht pur, sondern mit Wasser verdünnt.
Als das Brennen im Hals zugunsten eines Feuerchens in seinem Magen nachließ, sah er zu seinem Bruder, der sich köstlich über ihn amüsierte.
„ Sie ist nichts für dich“, befand Paul.
„ Warum denn, Brüderchen? Hast du selbst ein Auge auf sie geworfen? Nein, Paul, du doch nicht. Weißt du denn überhaupt, was man mit einer Frau so redet? Oder macht? Wusstest du überhaupt, dass sie eine Frau ist? Ein süßes Fräulein, besser gesagt.“
Paul wollte sich nicht provozieren lassen. „Sag mir, was du vorhast.“
„ Und wenn nicht?“
Es war fast unmenschlich schwer, nicht in das gleiche Verhaltensmuster wie immer zu verfallen. Paul hielt sich eigentlich für einen sehr ruhigen Menschen, aber sein Bruder brachte ihn im Nu zur Raserei und als Kinder hatten sie sich häufig geprügelt. Er beherrschte sich und trank noch einen Schluck.
Friedrich lachte und setzte nach: „Gib zu, du findest sie auch süß. Du hast ihr eines deiner Spielzeuge geschenkt.“
Paul sah Friedrich verblüfft an.
Der lachte lauter. „Dein Gesicht ist wunderbar!“
„ Ach, lass mich doch in Ruhe.“ Paul stand auf und wollte gehen.
„ Hör zu Paul: Ich tu ihr schon nichts. Ich gehe heute mit ihr aus, weil sie mir was schuldet. Dann hat sie eine Vergleichsmöglichkeit und kann sich entscheiden.” Friedrich sah selbstzufrieden aus. Paul zweifelte keine Sekunde daran, dass Friedrich seinen ganzen Sold des nächsten Jahres verwettet hätte: Für ihn gab es nur eine richtige Entscheidung, die das Fräulein treffen konnte.
“ Ich sehe, dass du dich für sie verantwortlich fühlst”, sagte sein Bruder jetzt. “Aber das bist du nicht. Du bist für das ganze tote Inventar hier zuständig. Ich übernehme das Lebende.“
„ Jetzt hörst du mir zu, Friedrich“, sagte Paul entschlossen. Einiges dieser Entschlossenheit hatte er einer schottischen Destillerie zu verdanken, aber er hatte die Nase voll: “Du geht mit ihr aus, du bringst sie nach Hause, und wenn ich das Gefühl bekomme, dass du sie nicht behandelt hast wie eine Königin, dann wirst du das bereuen. Sie hat viel durchgemacht, und es kommen sicher noch schwere Zeiten auf sie zu. Ich möchte nicht, dass du das ausnutzt.“
Friedrich sah seinen Bruder überrascht an. Dann nickte er.
* * *
Annabelle hatte Pauls Ausbruch gehört. Sie hatte nicht vorgehabt zu lauschen, aber sie hatte das Gespräch der Brüder auch nicht unterbrechen wollen. Nun stand sie im Flur und wusste nicht, was sie denken sollte. Das war ihr eindeutig zu viel Aufregung um ihre Person.
Sie hatte sich umgezogen und ein Kleid in einem gebrochenen weiß gewählt. Die Korsage war vorne geschnürt und darüber trug sie eine Bluse aus Spitze. Auch ihre Handschuhe waren weiß und die einzigen Farbtöne waren ihre Ohrringe, die in Grün- und Blautönen gehalten waren. Sie stellten stilisierte Libellenflügel dar, in ihrer Mitte blitzte ein Aquamarin. Aber sie kam sich albern vor, und hatte keine Ahnung, was sie sagen sollte, wenn sie das Zimmer mit den Brüdern betrat. Sie würde am liebsten wieder die Treppe hochrennen und sich in ihrem Zimmer einschließen.
Sie zuckte zusammen, als sich die Haustür öffnete und Frau Barbara eintrat.
„ Da bist du ja!“, rief Annabelle erleichtert aus. „Wo warst du denn den ganzen Tag?“
„ Ach Kind, ich war auf dem Bauernmarkt in Balg. Dort gibt es die besten Kartoffeln. Ich habe Vorräte eingekauft, und dort doch tatsächlich die Frau Markwart und ihre Schwester getroffen. Denk mal, der Sohn von der Frau Markwart hat endlich geheiratet, und da hat sie mich eingeladen zu einem Kaffee und wir haben die Zeit vergessen.“
„ Wir haben Besuch“, flüsterte Annabelle und zeigte auf die Tür zum kleinen Zimmer.
„ Wen denn?“
„ Die beiden Falkenbergs.“
„ Peter und Paul?“
„ Nein, Paul und Friedrich.“
„ Wer ist denn Friedrich?“ Frau Barbara legte schnell ab und schleppte ihren schweren Korb in Richtung Küche. Hinter ihr kam ein Junge mit einer Kiste voller Gemüse die Eingangstreppe hoch. Annabelle schloss die Tür hinter ihm und folgte den beiden.
Frau Barbara stand in der Küche vor dem Blumenstrauß.
„ Wo kommt der denn her? Der ist ja wundervoll! Aber Kind, hättest du ihn nicht
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