Aetherhertz
diese Frauen ist sehr ehrenwert. Wir sind übrigens da.“
Annabelle atmete tief durch und wollte das Hotel betreten.
„ Moment“, hielt Paul sie zurück.
„ Was?“
„ Denke daran, dass wir es mit höchstwahrscheinlich adligen oder zumindest sehr hochgestellten und reichen Persönlichkeiten zu tun haben.“ Das Hotel Brenner war die luxuriöseste Unterkunft in Baden-Baden.
„ Ja. Und? Ich weiß, wie man sich benimmt.” Sie schien ein wenig sauer zu sein.
“ Es schadet nie, wenn man sie beeindruckt.” Er hatte in seinen schlaflosen Stunden etwas gebaut und brannte darauf, es an ihr zu sehen. Er kramte in seiner Manteltasche. Dann schob er ihren Mantel ein wenig auf und heftete ihr wieder eine Linse aus Messing an den Kragen ihrer Bluse. Er nahm ihre Hand – die Linke. Sie zog sie aber weg und er sah ihr kurz verwundert in die Augen. Sie wich seinem Blick aus und gab ihm die rechte Hand. Er zog ihr den Handschuh aus, hauchte ihre Finger an und rubbelte sie kurz warm.
„ Jetzt darauf tippen, bitte”, wies er sie an und gab ihre Hand frei, obwohl er sie gerne länger gehalten hätte. Sie tippte auf die Mitte der Linse und beobachtete, wie sie sich zu einem bunten Schmetterling öffnete.
„ Wunderschön“, hauchte sie. Er hatte versucht, die Farben zu treffen, die er mit ihr verband: grün und gelb auf braunem Untergrund.
„ Ja“, sagte er leise, und meinte dabei nicht den Falter. Fasziniert beobachtete sie, wie sich die Flügel des Schmetterlings falteten und bunt glänzend wieder öffneten.
Sie sah zu Paul hoch. Ihr Kopf war so nah bei seinem. Er konnte es jetzt kaum ertragen, ihr in die Augen zu sehen. Als er es doch tat, lächelte sie und berührte ihn mit der Hand an der Wange. Ihre Fingerspitzen blieben einen Moment dort liegen, dann wanderten sie zu einer Strähne, die unter seinem Hut hervorlugte. Sie strich sein Haar zurück, räusperte sich dann und fegte ein unsichtbares Stäubchen von seiner Schulter.
„ Na dann mal los, in die Höhle des Löwen.“
„ Der Bären“, sagte er.
„ Was?“
„ Medwedew heißt Bär.“
Sie hatten Glück und wurden vorgelassen. Nun saßen sie in der prächtigen Suite und warteten auf einen Gesprächspartner. In der Ecke neben der Tür zum Nebenraum stand ein finster aussehender junger Mann. Ein weiterer Mann hatte sie eingelassen und in gebrochenem Deutsch um ein wenig Geduld gebeten.
Annabelle war schon in luxuriösen Häusern gewesen, dennoch war sie beeindruckt von der perfekten Harmonie dieses Raumes. Die Wände und Vorhänge waren in einem dunklen Rot gehalten, das ihn aber nicht zu düster machte. Neben dem Schreibtisch am Fenster stand eine große Vase mit einem wundervollen Blumenarrangement.
Sie sah Paul an, der nicht nervös wirkte und ihr aufmunternd zunickte. Endlich ging die Tür auf und gestützt von dem Mann trat eine ganz in Schwarz gekleidete etwa 50 Jahre alte Frau ein. Als sie ein paar Schritte gegangen war, richtete sie sich auf, schob die helfende Hand weg, ging zu einem Sessel und setzte sich hin. Sie war eine Schönheit, immer noch. Kerzengerade und majestätisch, das Haar hochgesteckt, der Kragen zugeknöpft und dennoch atemberaubend lebendig in ihrer Trauer, die sie abstrahlte wie ein Feuer die Hitze.
Paul war aufgestanden und hatte sich leicht verneigt. Die Frau machte eine Handbewegung und er setzte sich dankbar.
„ Ich bin Olga Kulikowa. Irina Medwedew war meine Tochter. Was führt Sie zu mir?“ Sie sprach mit einem ausgeprägten russischen Akzent. Ihre Hände mit den vielen Ringen verschränkten sich in ihrem Schoss.
„ Ich bin Paul Falkenberg und das ist Fräulein Annabelle Rosenherz. Wir sind hier, um Ihnen zunächst unser Beileid auszusprechen.“
Die schwarzen Augen der Frau bohrten sich in ihn.
„ Woher wissen Sie?“ Sie verkrampfte die Hände fast unmerklich, die Knöchel wurden weiß. Annabelle bewunderte sie für ihre Beherrschung.
„ Wir wurden angewiesen, ihren Tod zu untersuchen.“ Paul hatte das mit Annabelle vorher besprochen.
Die Frau sah zum Fenster und presste die Worte hervor: “Ich wollte das nicht.“
Annabelle musste sich beherrschen, nicht herauszuplatzen: was? Den Tod oder die Untersuchung? Aber die Frau gebot so viel Respekt, dass sie sich nicht traute. Sie war sehr froh, Paul dabei zu haben.
„ Wir verstehen das“, sagte er ruhig.
„ Tun Sie das? Schön für Sie. Ich nicht.“ Sie atmete kurz tief ein und musterte Annabelle genau.
„ Ich habe Ihnen nichts angeboten.
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