Aetherhertz
Wie unhöflich. Pavel!“ Die Frau bellte dem Mann einen Befehl in Russisch entgegen. Der Angebellte verschwand.
„ Verzeihen Sie mir. Ich bin nicht gesund. Das ist der Grund, weshalb ich hier bin. Die Heilquelle. Meine Tochter wollte mich nicht allein lassen, und wir wollten zur Geburt wieder nach Hause, nach Russland. Übermorgen wäre der Zug gegangen ...“ Sie stockte und suchte Flucht in der Aussicht. Annabelle merkte aber, dass sie nicht wirklich sah, was vor dem Fenster war.
„ Wann geben Sie meine Tochter frei?“
Paul sah Annabelle an, die zuckte mit den Schultern: „Das wissen wir noch nicht.“
„ Was wollen Sie denn noch? Kann man es nicht ruhen lassen, mein Kind und mein Enkelkind?“
„ Wer wollte denn die Aufklärung?“, fragte Paul vorsichtig.
„ Mein Schwiegersohn, Irinas Mann.“
„ Frau Kulikowa, wir haben bei Ihrer Tochter ungewöhnliche Veränderungen gefunden. Hatte sie oft Sodbrennen?”, fragte Annabelle.
“ Sie war kerngesund.”
“ Dann sieht es leider so aus, als wäre sie vergiftet worden”, sagte Annabelle.
Die Frau wurde kalkweiß. Sie presste die Lippen aufeinander und blinzelte mehrmals. Der dunkle grimmig aussehende Mann kam ein paar Schritte näher. Olga Kulikowa winkte ihn mit einer herrischen Handbewegung weg.
„ Wir wollen wissen, ob Ihre Tochter etwas Besonderes gegessen oder getrunken hat. Und ob es jemand anderem Ihrer Familie noch schlecht ging.“
„ Vergiftet ...“, wiederholte Olga Kulikowa tonlos.
Annabelle nickte und hielt es nicht mehr aus. Sie stand auf, kniete sich neben die Frau und legte ihre Hand auf die verknoteten Finger. Die Frau sah sie an, dann wurde ihr Gesicht weich und eine Träne rollte ihr die Wange herunter.
„ Irina war so alt wie Sie. Sie hatte auch so schöne braune Haare. Und ihre Augen waren so lebendig. Ich habe sie nicht mehr gesehen. Sie haben sie einfach weggebracht. Ganz allein. Mein Mädchen, ohne mich, sie haben mich zurückgehalten.“ Die Tränen liefen wie Wasser. Annabelle nahm ein Taschentuch und gab es der Frau.
„ Sie sagen, das Kind wäre tot.“ Es war fast eine Frage, eine winzige Hoffnung, die Olga Kulikowa nicht aufgeben wollte.
Annabelle nickte. „Es war eine schwere Geburt. Gab es irgendwelche Komplikationen vorher?“
Die Frau schüttelte den Kopf. „Nein, wir hatte eine Hebamme bereit, das Hotel hatte uns eine empfohlen. Alles war in Ordnung. Das Kind war sehr groß, aber das war in der Familie meines Schwiegersohns nicht ungewöhnlich. Sagt er.“
Das Letzte kam sehr hart heraus. Annabelle hatte das Gefühl, das es zwischen der Mutter und dem Schwiegersohn nicht zum Besten stand. Pavel kam zurück und mit ihm ein Zimmerkellner, der einen Servierwagen mit Kaffee, Tee und Gebäck vor sich herschob. Paul nahm sich anstandshalber eine Tasse.
„ Welche Krankheit führt Sie hierher?“, fragte Annabelle.
„ Ich habe ein Magengeschwür. Immer wieder. Es blutet und macht mich schwach. Ich hasse es, egal was ich tue, es wird nicht besser. Deshalb bin ich hierher mitgekommen. Mein Schwiegersohn hat Geschäfte hier und hat gesagt, komm mit Mutter. Ich hätte nicht auf ihn hören sollen. Ich hätte zu Hause bleiben sollen, mit meiner Tochter.“ Sie drückte Annabelles Hände und sah wieder zum Fenster hinaus.
„ Was hat Ihre Tochter hier in Baden-Baden gemacht?“
„ Sie hat mich jeden Tag begleitet, zur Trinkhalle. Sie ist ein gutes Kind. Dann habe ich sie weggeschickt, ich sage: Geh was Schönes kaufen, geh ins Café. Ich habe immer Pjotr mitgeschickt, zum Aufpassen. Manchmal ist auch Sergej dageblieben, und sie sind aufs Land oder ins Kasino.“
„ Sergej ist Ihr Schwiegersohn?“
Die Frau nickte. Ihr Akzent wurde stärker und sie baute jetzt deutlich ab. Sie hatte sich im Sessel angelehnt und hielt immer noch Annabelles Hände.
„ Er ist ein guter Mann. Er liebt sie. Er kauft ihr alles, was sie möchte. Er verwöhnt sie. Ich kann nichts Schlechtes über ihn sagen.“ Annabelle hatte aber das Gefühl, dass die Dame gerne etwas Schlechtes sagen würde. Sie würde gerne jemandem die Schuld geben.
„ War es ein Junge?“ Noch eine Frage, um dem Unfassbaren ein Gesicht zu geben. Annabelle wusste, dass viele Menschen es schätzten, wenn sie Fotos und andere Andenken von toten Kindern hatten. Sie nahm sich vor, ein Foto machen zu lassen, falls das Kind dem Institut zur Verfügung gestellt wurde. Bevor der Pathologe seine Arbeit machte.
Annabelle zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es
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