Aethermagie
daran, weiterzugehen. »Wo bin ich hier?«, wiederholte er und setzte hinzu: »Was ist mit mir?« Er fühlte sich wie ausgehöhlt, leer, dumpf, wie ein Sack, mit Knochen und Muskeln gefüllt, aber unbeseelt und trotzdem voller Angst und Schmerzen. »Was ist mit mir?«, wiederholte er und griff nach dem Arm des Wärters. »Wo ist Katya?«
Der Mann löste Jewgenijs Finger von seinem Arm. »Ist das deine Frau?«, fragte er. Sein Ton war ruhig und besänftigend. »Die ist nicht hier, Moroni. Aber sie wird dich besuchen, wenn du jetzt brav bist und mit mir kommst.«
Evgen… Moroni schüttelte den Kopf. Er war so müde. Zu müde, um sich weiter zu sträuben. Er trottete stumm neben dem Wärter her, der ebenfalls schwieg.
»Hier sind wir schon«, sagte der Mann und öffnete eine Tür. Ein kleiner, heller Raum mit einer Liege, ein Tisch mit Instrumenten, ein Kasten auf Rollen mit Knöpfen und Reglern, und einem wirren Bündel Drähte. Durch eine Trennscheibe konnte er einen Mann sehen, der reglos auf einem Hocker saß und die Arme verschränkt hielt. Etwas an dem Mann erschien ihm seltsam, aber er konnte den Gedanken nicht fassen, was genau es war.
Der Wärter ließ die Tür offen stehen. »Setz dich auf die Liege«, sagte er.
Schnelle Schritte näherten sich auf dem Gang, dann trat ein rundlicher, mittelgroßer Mann mit weißem Spitzbart ein und sagte: »Dr. Rados kommt erst später hinzu, wir sollen schon ohne ihn anfangen. Wären wir so weit?«
»Ja, Herr Professor.«
Der Mann musterte Moroni eindringlich. »Wie geht es dir?«, fragte er.
»Ich habe Schmerzen«, erwiderte Moroni. Er betastete seinen Kopf und seine Brust. »Angst.«
»Das geht vorbei«, sagte der Professor. »Du bist ein guter Junge. Kein Kämpfer, aber einer, der unseren Kämpfern seine Kraft gibt. Ein nützlicher, guter Junge.« Er tätschelte Moronis Schulter. »Hier, das gehört dir. Du wirst schön weiter all deine Gedanken aufschreiben, hörst du?« Er drückte Moroni ein kleines Notizbuch in die Finger. Der blickte verständnislos darauf nieder, bis der Wärter es ihm abnahm und sagte: »Ich lege es auf sein Bett, Herr Professor.«
Der Weißbärtige zog eine Uhr aus der Tasche und warf einen Blick darauf. »Können wir?«
»Bleib sitzen«, sagte der Wärter zu Moroni, der sich ausstrecken wollte. »Heute gibt es keine Zappelbehandlung. Du hast erst mal genug davon.« Er legte einen Gurt um Moronis Brust und begann dann, die Kupferdrähte, die daran baumelten, mit dem Kasten auf Rollen zu verbinden.
»Wie lange sind Sie jetzt bei uns, Grünwald?«, fragte der Weißbärtige, der aus Moronis Blickfeld verschwunden war.
»Im Juni zwei Jahre, Herr Professor.«
»Dr. Rados hat Ihre Beförderung zum Oberwärter vorgeschlagen. Das würde bedeuten, dass Sie künftig auch mit unseren sensiblen Patienten in der X arbeiten, direkt unter mir.«
Der Wärter hielt inne und blickte auf, an Moronis Schulter vorbei, um den Professor anzusehen. »Das ist eine Ehre, Herr Professor.«
»Sie sind ein sehr fähiger Mann, Grünwald. Ich möchte mich morgen mit Ihnen über Ihre Beförderung unterhalten. Suchen Sie mich bitte nach der ersten Visite in meinem Büro auf.«
Der Wärter fuhr damit fort, die Drähte anzuschließen. »Danke, Herr Professor. Das werde ich tun. So, fertig.«
»Danke, ich übernehme. Sehen Sie nach 416.«
Die Tür klappte. Kurz darauf erschien Grünwald hinter der Trennscheibe und sprach den dort Sitzenden an. Der hob den Kopf und bleckte die Zähne. Moroni starrte ihn an. Er kannte den Mann. Es war jemand, der mit ihm hier angekommen war. Sie hatten sich unterhalten. Er war ein Freund. Stiernacken. Ivo. Er hieß Ivo. Sein Freund Ivo saß dort drüben!
Moroni brummte unglücklich, und der Professor legte seine Hand auf seine Schulter. »Ruhig, mein Junge«, sagte er leise. »Schau auf die Uhr.« Er ließ die Taschenuhr vor Moronis Augen pendeln. Die gleichmäßige Bewegung besänftigte den Aufruhr in Moronis Innerem. Er ließ die Schultern sinken und nickte schläfrig.
Der Mann hinter der Scheibe wurde nun aus seiner Jacke befreit. Er war an den Füßen gefesselt und an einen Ring im Boden gekettet. Als er aufstand und Anstalten machte, Grünwald an die Kehle zu gehen, sprang der behände aus der Reichweite des Angreifers. Der brüllte und schlug vergeblich nach dem Wärter. Moroni betrachtete ihn mit träger Verwunderung. Ivo war so groß, dass sein Kopf beinahe die Decke der Kammer berührte, und breiter als ein Schrank. Seine
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