Aethermagie
Augen waren glasig und blutunterlaufen, er fletschte die Zähne wie ein Raubtier und riss an seinen Fußfesseln. Um seine Stirn lag ein Ledergurt, von dem Drähte zu einem Schlitz in der Wand führten, in der sie verschwanden.
»Größer«, sagte Moroni.
»Was ist größer?«, fragte der Weißbärtige zerstreut.
»Ivo.«
Der Professor wandte seine Aufmerksamkeit vom Nebenzimmer ab und sah Moroni aufmerksam an. »Ja. Du hast recht. Erstaunlich.« Er sagte nicht, was er erstaunlich fand.
Der Wärter trat ein und wischte sich mit dem Ärmel über die Stirn. »Er ist sehr aufgeregt heute. Dr. Rados hat ihm etwas gegeben, was ihn reizt.«
»Gut.« Der Weißbärtige zeigte ungeduldig auf den Kasten. »Rollen Sie ihn zum Fenster. Ich will 416 dabei beobachten.«
Wobei beobachten, fragte sich Moroni im dumpfen, trägen Fluss seiner Gedanken und Empfindungen. Etwas stimmte hier nicht. Etwas war ganz entsetzlich falsch. Und das Falscheste von allem war sein eigener Name, sein Name, er hieß doch …
Wut brandete in ihm auf. Er spürte, wie die zornrote Welle aufstieg, ihm den Atem nahm, an ihm zerrte, drohte, ihn mitzureißen in einen Strudel, ein Inferno aus Wut, Gewalt, Hass und Blut, er hörte Knochen brechen und Muskeln zerreißen, er sah Köpfe unter gewaltigen Hieben zerspringen wie reife Kürbisse, roch und schmeckte Blut und öffnete den Mund zu einem Schrei, der gleichzeitig aus der Brust des Riesen auf der anderen Seite der Trennscheibe brach.
»Volle Leistung«, schrie der Wärter. Ein Blitz traf Moronis Brust und schmetterte ihn gegen die Wand. Er keuchte und krallte nach dem Gurt, der in Flammen zu stehen schien.
Plötzlich war alles vorüber. Stille, Dunkelheit, etwas Kühles, Feuchtes, das sein Gesicht berührte, den Schweiß und die Tränen abwischte. Immer noch schmeckte er Blut, aber es war sein eigenes, das aus einer zerbissenen Lippe stammte. Er sackte zusammen, senkte den Kopf zwischen die Knie, würgte und rang nach Luft. Jemand hielt ihn fest. »Es geht gleich vorüber«, sagte der Wärter. »Atme ganz ruhig. Siehst du, es ist gut, dass du noch nichts im Magen hast.«
»Lassen Sie ihn, kümmern Sie sich um 416. Er ist gerade kollabiert«, drang die Stimme des Weißbärtigen durch das beruhigende Murmeln des Wärters. »Rufen Sie Dr. Rados.«
»Wahrscheinlich eine Rückkoppelung«, hörte Moroni den Wärter rufen, während er zur Tür rannte. »Die Feldstärke war heute ungewöhnlich hoch …« Die Tür schlug zu.
Moroni hockte an der Wand und schloss die Augen. Nicht denken, nicht fühlen. Keine Angst. Es war alles gut. Er dämmerte weg.
»Ich bin nicht unzufrieden mit dem Ergebnis«, hörte er den Weißbärtigen sagen. »Wenn wir das Gerät so kalibrieren, dass es die höhere Spannung ausgleicht, können wir die überschüssige Energie ableiten und sammeln und den Rest wie gehabt dazu verwenden, die Energieschaukel aufrechtzuerhalten. Reicht die Masse der Probanden dafür aus oder sollten wir die Koppelung verändern?«
Jemand brummte nachdenklich und Papier raschelte. »Ich würde empfehlen, das Mittel für 329 zu wechseln. Der vertikale Schub ist zu langsam für unsere Zwecke. Wenn wir ihm A05 statt des G33 spritzen, sollten wir den Massezuwachs erzielen, den wir für diese Koppelung benötigen. Ich denke nicht, dass er als Batterie taugt, von daher riskieren wir mit dem Wechsel nichts.«
»416 dürfte sich allerdings mittlerweile an seinem körperlichen Limit befinden«, warf ein zweiter Sprecher ein. »Ich schätze aber, dass wir auf kurze Sicht mit dem Potenzial ausgleichen können, das 329 bietet.«
»Gut, dann bleibt es dabei.« Jemand klatschte in die Hände. »An die Arbeit, meine Herren. Grünwald, bringen Sie 329 in seine Zelle zurück und sorgen Sie für ihn.«
Schritte, jemand näherte sich. Moroni schlug die Augen auf und sah in das Gesicht des freundlichen Wärters, der ihm die Hand reichte. »Steh auf, 329«, sagte er. »Du bekommst jetzt ein schönes Frühstück und dann kannst du schlafen. Für heute ist deine Arbeit getan.«
Er saß auf seiner Pritsche, blätterte in dem Notizbuch und entzifferte mühsam, Wort für Wort, die eng beschriebenen Seiten. Moroni rieb sich fest die Schläfen und fuhr sich über die brennenden Augen. Dann las er weiter:
»Ich weiß, dass ich dies nicht zu Ende führen werde. Mit jedem Tag entgleite ich mir ein Stück mehr. Heute Morgen beim Aufwachen wusste ich minutenlang nicht mehr, wie ich heiße und wo ich mich befinde. Diese Zeiten
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